Full text: Carl Friedrich Gauß und die Seinen

Dritter Abschnitt. 
(. K. Gauß und seine zweite Krau 
Vorbemerkungen. 
Daß Gauß so bald nach dem Tode seiner so innig geliebten ersten Snuj zu 
einer neuen Ehe schritt, wird bei manchen seiner verwandten und freunde Befremden 
erregt haben, wie es auch heute noch jeden, der davon zum ersten Male hört, eigen 
tümlich, fast schmerzlich berührt. Und doch ist es durchaus verständlich. Ls ist ja 
eine bekannte Tatsache, daß sich Männer, die eine besonders glückliche Ehe geführt 
haben, in sehr vielen Fällen bald nach dem Tode ihrer Gattin wicderverheiraten, weil 
ihnen die Vereinsamung unerträglich ist. So war es auch bei Gauß. Auf ihm lastete 
die Vereinsamung um so schwerer, als er durch sie der für erfolgreiche wissen 
schaftliche Arbeit so nötigen Ruhe und Heiterkeit des Gemütes beraubt worden war. 
Daneben aber trieb ihn zu baldiger Wiedervermählung die Erkenntnis, daß er seinen 
Rindern, dem teuern Vermächtnis der Geliebten seiner Jugend, eine neue Mutter 
geben müsse, deren Obhut und Zucht sie noch so bedürftig waren. Seine Wahl fiel 
auf die jüngste Tochter des Professors der Rechte, Hofrats Johann Peter Waldeck, 
Minna mit Namen, die, obgleich acht Jahre jünger als Hannchen Gauß, deren beste 
Göttinger Sccunöin gewesen war. Unmittelbar, bevor Gauß um sie warb, hatte sie 
ein Verlöbnis gelöst und befand sich infolgedessen noch in sehr gedrückter Stimmung. 
Diese scheint auch durch Gauß' Werbung nicht behoben zu sein: es war dem tief 
veranlagten Mädchen nicht möglich, die alte Neigung so rasch mit einer anderen zu 
vertauschen. Wenn sie dem neuen Eintrage trotzdem stattgab, so wird das nicht zum 
wenigsten unter dem Einfluß ihrer Eltern geschehen sein, denen der berühmte, auch 
als Mensch in höchstem Ansehen stehende Gelehrte als Schwiegersohn natürlich sehr 
willkommen war. von beiden Seiten sprach also bei dem Verlöbnis, das so zustande 
kam, in erheblichem Maße die Vernunft mit, und zwar bei Minna noch weit mehr 
als bei Gauß. Das aber hinderte nicht, daß die Ehe, die der inzwischen noch einmal 
auf eine harte Probe gestellten Verlobung nach wenigen Monaten folgte, sich gar bald 
zu einer durchaus glücklichen gestaltete. Denn wie es Gauß bei den ihn auszeichnenden 
reichen Gaben des Geistes und des Herzens nicht schwer ward in Rürze die volle 
Liebe seiner Gattin zu gewinnen, so sicherte sie sich seinen rückhaltlosen Dank schon 
durch die treue Fürsorge, mit der sie ihm eine behagliche Häuslichkeit bereitete, durch 
die gewissenhafte Erfüllung ihrer Mutterpflichten ihren Stiefkindern wie den eigenen 
Rindern gegenüber. Nicht zuletzt die große Liebe, mit der auch Johannas Rinder an 
ihr hingen, beweist, daß Minna an wahrer Herzensgüte und dem festen willen 
Mann und Rinder glücklich zu machen hinter ihrer Vorgängerin nicht zurückstand, 
wenn ihr auch deren 8rohnatur und einfache Innigkeit nicht eigneten. Die hier kurz 
geschilderte Entwicklung werden die ersten sechs Briefe dieses Abschnitts des nähern 
dartun. Leider war auch das neue Eheglück Gauß' nicht von langer Dauer. Schon 
um | $ | s fing Minna an zu kränkeln. In dem genannten Jahre finden wir sie zur 
Rur in Pyrmont, dann j$20 und ; 824 in Ems. Aus den ziemlich zahlreich erhaltenen 
Briefen, die sic seit j$2ö aus Ems und aus Göttingen, von wo die Gradmcssungs- 
arbeiten ihren Mann fünf Jahre hindurch während eines großen Teils des Sommers 
und des Herbstes fernhielten, an diesen richtete, geht unzweideutig hervor, daß sie 
schwindsüchtig geworden war und die unheimliche Rrankheit trotz zeitweiligem Besser- 
befindcn der Patientin unaufhaltsam fortschritt. Sie erlag ihr, erst 43 Jahre alt, am 
12. September j$3j. Beschleunigt ward ihr Ende wohl durch den Lummer um ihren 
ältesten Sohn Eugen, den ein schweres Zerwürfnis mit feinen Eltern, verursacht durch 
das einigermaßen wilde Studentenleben des Neunzehnjährigen, im Jahre zuvor nach 
Amerika getrieben hatte. In diese Tragödie läßt uns der den Schluß dieses Abschnittes 
bildende Brief zugleich wohl der letzte von allen Briefen Minnas an ihren Gatten, 
in dem die ganze Qual eines Mutterherzens aufschreit, einen erschütternden Einblick tun. 
Außer innerem Zusammenhange mit den übrigen hier gebotenen Stücken stehen, wie 
ohne weiteres ersichtlich ist, die unter Nr. 8 — j 2 mitgeteilten Auszüge aus Briefen Minnas
	        
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