Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

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Naturwissenschaften mehr oder weniger sich unmöglich gemacht, 
so gewinnt eo ipso das historische Bindeglied eine um so er- 
höhtere Bedeutung. 
Wir sprachen bisher stets von der Naturwissenschaft im All 
gemeinen; wenden wir uns jetzt unserem eigentlichen Thema zu, 
der Mathematik. Vor den übrigen induktiven Wissenschaften 
— und diesen rechnen wir mit vollem Bewusstsein auch die 
Mathematik zu — hat diese letztere das voraus, dass sie direkte 
Yortheile aus der geschichtlichen Forschung zu ziehen vermag. 
Natürlich soll das nicht so verstanden werden, als ob Aehnliches 
in anderen Wissenschaften gänzlich ausgeschlossen sei; wohl 
aber tritt es mehr oder weniger zurück und kann erst durch 
aufmerksames Nachsuchen an’s Licht gezogen werden. Wenn 
wir nun im Folgenden über den Nutzen uns verbreiten, welchen 
historische Bückblicke für mathematische Lehre und Forschung 
gewähren, so schliessen wdr einen Punkt principiell aus. Die 
hohe Freude und Befriedigung, welche für jeden historisch arbei 
tenden Mathematiker aus seinen Studien fliesst, ist sich Selbst 
zweck; nicht zur Rechtfertigung seiner Beschäftigungsweise vor 
sich oder anderen stellt er Betrachtungen an, wie wir sie im 
Folgenden zu bieten gedenken, er ist vielmehr längst zu der 
festen Ueberzeugung durchgedrungen, dass die Geschichte der 
Mathematik eine in sich berechtigte selbstständige Wissenschaft 
darstellt, die nicht aus Gründen der Selbsterhaltung mit anderen 
Wissensgebieten in Connex zu treten braucht, Diess ist für uns 
ein keines Bewmises bedürftiges Axiom; wohl aber ist es eine 
schöne Aufgabe, für diese Studienrichtung Propaganda zu machen 
und darzuthun, wie dieselbe, richtig aufgefasst, nach den man 
nigfachsten Seiten hin befruchtend und bestrahlend wirken könne. 
Note 4. Eine unmittelbare Anwendung findet diese Behauptung auf 
die Pädagogik. Gar Mancher wird sich — um ein allen Ge 
bildeten naheliegendes Beispiel anzuführen — des halb verblüf 
fenden halb komischen Eindruckes erinnern, den ihm in seinem 
eigenen geometrischen Studium der berühmte raagister matheseos, 
der pythagoräische Lehrsatz, machte, als er in seiner charakteri 
stischen Form an der Tafel vor ihm auftauchte; neunzig Schüler 
unter hundert ergreift Verwunderung über dieses seltsame Ge 
bilde menschlicher Einbildungskraft, das ihrer Meinung zufolge 
doch nur dem Hirn eines barocken Stubengelehrten seine Ent-
	        
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