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theil, das was wir geschichtliche Forschung nennen, das entstand
erst um jene Zeit. Bisher war ja das Alte zugleich auch das
einzig Vorhandene, jede Untersuchung, welche sich mit Klar
stellung irgend einer schwer verständlichen Textesstelle zu thun
machte, sollte auch etwas thatsächlich Neues zu Tage fördern —
mit einem Worte, historische und theoretische Forschung unter
schied sich nicht wesentlich. Jetzt wurde diess anders, dass für
die reelle Erkenntniss zwar immerhin im Einzelnen nicht aber
in principiellen Punkten aus jenen alten Schriften geschöpft wer
den könne, unterlag bei den Vorkämpfern der neuen Bestre
bungen keinem Zweifel. Aber ebenso klar übersahen jene er
leuchteten Männer, dass jene Vorzeit die unumgängliche Vor
bedingung ihrer eigenen Verbesserungen abgegeben habe, und
nun drängte sie es, dem organischen Verlaufe dieser ihrer Er
rungenschaften nachzuspüren. Es ist charakteristisch, dass dieses
Erwachen wahrhaft-historischen Sinnes chronologisch nahezu mit
dem Zeitpunkte sich deckt, wo wirkliche Lehrer der Welt
geschichte, der bisher stets als Anhängsel einer anderen Disci-
plin betrachteten Wissenschaft, in die ehemals artistische, nun
mehr philosophische Fakultät der deutschen Universitäten ein
traten.
Wir haben im Texte den berühmten Schweizer Al brecht
v. Haller gewissermassen als das geistige Centrum für den
Schluss jener Periode hingestellt, mit deren Besprechung wir uns
hier beschäftigen. Nicht in dem Sinne allerdings, als ob Haller
besonders energisch die geschichtliche Seite der zahlreichen durch
ihn vertretenen Wissenschaften gefördert habe *), sondern ledig
lich insoferne, als wir in ihm den Brennpunkt scientifischen
Lebens in der zweiten Hälfte des vorigen Säculums erblicken
dürfen. Wenn wir die Dissertationen, Programme, Compendien,
ja auch die akademischen Vorlesungsverzeichnisse jener Zeit in’s
Auge fassen, so tritt uns immer wieder das gleiche Interesse an
der Vergangenheit entgegen. Die medicinische Wissenschaft
*) Immerhin hat auch er für direkt-geschichtliche Arbeit das wärmste
Interesse an den Tag gelegt; es ist bekannt, dass er seine Studien als Kind
bereits mit Zusammentragen von Biographieen berühmter Naturforscher begann
und noch im hohen Alter auf seine dauerhaften Kenntnisse besonders in der
Universalgeschichte sich etwas zu Gute that.