29
Bolognc do 1655.“ Wenn wir nun auch angesichts dieses Passus
nicht mit Luchesini 7 ) uns dahin aussprechen können, dass
Lagrange überhaupt die erste Conception seiner neuen Theorie
den Galilei’schen Gesprächen über das Weltsystem zu danken
habe, so werden wir doch auf der anderen Seite zugestohen
müssen, dass ihm auch direkt sachlicher Nutzen aus seinen histo
rischen Nachforschungen erwachsen sei. Kurz, wie uns
Lagrange in der unübertroffenen Klarheit seiner Deduktion,
in der Eleganz seiner Schreib- und Rechnungsweise als Vorbild
seit Langem gilt, so kann er auch in seinem Bestreben, histo
risches Material direkt für die Zwecke der fortschreitenden Wis
senschaft selbst zu verwerthen, als Ideal aufgestellt werden;
möchten recht Viele demselben nachstreben!
Mit der hier in schwachen Umrissen skizzirten Tendenz
Lagrange’s weist das wissenschaftliche Verfahren A. v, Hum
boldt’s die mannigfachsten Berührungspunkte auf, so wenig
auch im Allgemeinen der strenge nur auf Erweiterung des Wis
sens bedachte Mathematiker dem genialen Polyhistor ähneln mag,
dem es, besonders in späteren Lebensjahren, hauptsächlich um
Verbreitung der Wissenschaft in immer weiteren Kreisen zu thun
war. Lagrange hatte es unternommen, eine abstrakte und
eigentlich noch wenig bekannte Disciplin, die rationelle Mechanik,
auf einer durchaus neuen Basis zu entwickeln, und sollte diess
einigermassen Anklang finden, so musste noth wendigerweise zu
erst an der Hand historischen Daten der Nachweis erbracht wer
den, dass und warum es jetzt nöthig geworden sei, jene Refor
mation in’s Werk zu setzen. Humboldt dagegen hatte einen
gewaltigen Hörer- und Leserkreis von höchst heterogener Vor
bildung in ein unendlich ausgedehntes Wissensgebiet einzuführen,
dessen Grenzen allerorts in diejenigen schwieriger oder doch für
schwierig gehaltener Wissenschaften Übergriffen. Auf dem da
mals üblichen dogmatisch-erklärenden Unterrichtswege vorzu
gehen, verbot sich von selbst und hätte auch des Lehrers Eigen
art schwerlich befriedigt, ein lediglich beschreibender Vortrag
musste für beide Theile Ermüdung erzeugen. Aber Humboldt
wusste Rath. Durch persönliche Neigung zur Geschichtsforschung
hingezogen und durch sehr achtbare literarische Leistungen be
reits eines festbegründeten Rufes auf diesem Gebiete sich er-