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von unbestimmtem Datum kommen, die zum Zweck hatten, die
Methode anzugeben, durch welche Archimedes zur Entdeckung
seiner vorzüglichen Theoreme gekommen sei, und nachzuweisen,
wie wenig diese von der modernen Analysis abweiche. Man
kann diesen Gegenstand nicht mit mehr Genauigkeit und Klar
heit behandeln, als es Barrow gethan hat.“ Ohne eigenen
Einblick in diese Vorträge können wir uns kein abschliessendes
ürtheil über ihren absoluten Werth bilden — ein relativer ist
wohl sämmtlichen Veröffentlichungen eines solchen Autors ge
sichert —; wir glauben aber nicht, dass Barrow das Richtige
getroffen hat. Freilich besass Archimedes ein Universal
instrument, das er mit wahrer wenn auch hie und da allzu
stereotyper Virtuosität*) zu handhaben wusste, nicht aber um
a priori Neues aufzufinden, sondern um a posteriori das wie im
mer Gewonnene zu sichern. Diess war die aus dem gewöhn
lichen indirekten Beweisverfahren herausgebildete Exhaustions-
methode.
Ueberhaupt können die Versuche des Historikers, den
Ideeengang irgend einer geschichtlichen Persönlichkeit aus sich
heraus nachzuconstruiren — Versuche, denen man sich ja häufig
nicht entziehen kann und die stets einen grossen Reiz haben —
nicht vorsichtig genug angestellt werden, denn es bewahrheitet
sich hier wiederum die populäre Maxime, dass Niemand die
eigene Haut verlassen und sich in die eines anderen stecken
kann. Die Geschichte der Mathematik führt uns mehr wie ein
mal das Gewagte solcher oft recht geistreicher Hypothesen zu
Gemüthe. So z. B. bei Newton. Auch in dieser Beziehung
seinem grossen Geistesgenossen Archimedes ähnlich liebt auch
er es, uns keinen Einblick in die von ihm befolgten Forscbungs-
methoden zu verstatten; er giebt uns Sätze und kurze synte
tische Beweise und nöthigt uns so, Conjekturen Raum zu geben,
die bald eine innere Berechtigung haben, bald nicht. So wird
*) Des ermüdenden Eindrucks, welchen das ewig sich fortspinnende Ein-
und Umbeschreiben regulärer Polygone und Prismen nebst der dazu gehörigen
Wendung „Es sei nun, wenn möglich, A^B“ gewiss auf jeden Leser macht,
gedenken wir hier absichtlich. Man fühlt oft zu lebhaft, wie es dem unge
stümen Verfasser nicht auf Ueberzeugung, sondern lediglich aaf Oktroyirung
der Wahrheit ankommt.