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mutandis in einem allgemeineren Sinne. N ess ei mann hat eine
kurze oft heissende Kritik all der Versuche geliefert, welche
deutsche Gelehrte im Verlaufe zweier Jahrhunderte auf mathe
raatisch-historischem Gebiete gemacht haben, und vermag wenig
Günstiges zu berichten; auch von ausländischen Arbeiten lässt
er nur eine einzige voll gelten, die freilich nicht immer diplo
matisch Vertrauen verdienende in ihrer Art aber noch immer
klassische „Histoire des mathématiques“ von Montucla. Die
Sucht einer wissenschaftlich noch unmündigen Zeit, Chroniken
und Commentare nicht aber selbstständige Forschungen zu pro-
duciren, steckte noch zu sehr im Blute einer späteren Generation.
Die guten Absichten klardenkender Männer manifestiren sich
besonders deutlich in dem Versuche, eine encyklopädische Ge
schichte aller Disciplinen durch eine Reihe hiezu befähigter Ge
lehrter bearbeiten zu lassen — gewiss ein richtiger Gedanke,
aber welche Früchte brachte er: Kästner's als Sammelkasten
freilich sehr werthvolle „Geschichte der Mathematik“ und die
noch ungleich unbedeutendere Geschichte der Physik von Mûr
ira r d 2 ). In richtigem Verstände als comparative Methodenlehre
haben überhaupt nicht deutsche sondern englische und franzö
sische Schriftsteller die Wissenschaftsgeschichte zuerst formulirt,
wie denn bereits Priestley’s „Geschichte der Optik“ in be-
achtenswerther Weise eine neue Auffassung signalisirt.
1) Nesselmann, S. 13 ff.
2) M xi r hard, Geschichte der Physik, 1. Band, Göttingen 1798—99.
' Note 11.
Die eigenen Worte Hankel’s beziehen sich zunächst auf
den in den Arbeiten der Alten überall hervortretenden Fehler,
unvorbereitet an die gestellte Aufgabe heranzutreten; sic lauten
so 1 ): „Wir haben besonders den Fehler zu bemerken, dass sie
überall die nächstlicgenden durch die alltägliche Beobachtung
gegebenen Probleme angriffen und hartnäckig an ihnen festhiel
ten, obgleich ihnen die Mathematik die wichtige Lehre hätte
geben können, dass solche nicht selten viel complicirter sind als
ferner liegende Probleme; dass man sich durch die wissenschaft
liche Entwickelung selbst zu den Aufgaben führen lassen muss.
Wir stehen nicht an zu behaupten, dass in diesem von den Ma