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oft sehr ephemeren Versuche zu liefern, um so mehr, da über
diese Frage einige recht brauchbare historische Monographieen
existiren, die Schriften von Klügel 3 ) und Hoffmann 4 ). Ein
sehr genaues Titelverzeichniss hat uns J. W. Müller 5 )*) ge
geben, welches während eines Zeitraumes von 70 Jahren (1751 —
1820) nicht weniger als 38 den Parallelen gewidmete Special-
Abhandlungen aufführt; nur eine einzige 7 ) gehört dem siebzehn
ten Jahrhundert an. Der weitaus überwiegenden Mehrzahl nach
verwerfen diese Bearbeitungen das elfte Axiom; nur einige we
nige, so besonders diejenige des bekannten Bibliographen Schei-
bol 8 ) suchen in einer sehr wenig glücklichen Weise mit philo
logisch-philosophischen Tüfteleien den Standpunkt des für sie
zum Götzen gewordenen Euclides zu wahren. Nicht als ob
nicht auch hier wie so häufig in der Wissenschaft ein möglichst
conservatives Verfahren das richtigste wäre, im Gegentheil wird
man mit Einführung neuer Fundamentalbegriffo kaum langsam
genug Vorgehen können. So gelang es denn auch Legend re,
der ebensowenig sklavisch an Euklid kleben als auch unnöthige
Neuerungen veranlassen mochte, mit sparsamster Anwendung
neuer Theorieen ein Parallelensystem herzustcllen, welches 9 )
trotz gewisser principieller Mängel als das für jene Zeit beste
bezeichnet werden muss und seines pädagogischen Werthos hal
ber noch jetzt in vielen Schulbüchern vorgetragen wird, deren
Verfasser nicht ohne Grund eine üeberführung der seitdem ent
standenen grundsätzlich verschiedenen Anschauungen in die Lehr
stube für unmöglich halten.
Denn in der That hat seitdem die Parallelenthcoric eine
totale Umwälzung erfahren. Was Gauss schon in frühester Ju
gend für möglich und nothwendig gehalten hatte, die Errichtung
einer ebenen Geometrie ohne Parallelenaxiom, ward einerseits
*) Müller’s Verhalten in dieser Frage ist besonders belehrend. Errichtet
eine sehr treffende Kritik gegen eine Eeihe sein sollender Beweise, Übersicht
dabei aber vollkommen den Balken im eigenen Auge. Denn seiner eigenen
Neubegründung legt er den Satz des Euclides zu Grunde6), dass in einem
Dreieck zwei Winkel nicht grösser als zwei Eechtc sein können, einen Satz
also, welcher offenbar das elfte Axiom selbst wieder zur impliciten Grund
lage hat und ohne eine ähnliche Voraussetzung gar nicht bewiesen werden
kann.