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Nr. SIS, [Gauß an Gerling.]
Göttingen, 12. Mai 1841.
Hochgeschätzter Freund I
Ich hahe Ihnen noch meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer
Großvaterschaft nachzuholen, womit ich zugleich meine besten
Wünsche für baldige Vollendung Ihres Baues verbinde. Unser
gleichförmiges Leben hier wird in diesem Frühjahr durch einen
Besuch meines ältesten Sohnes mit seiner, persönlich mir noch
unbekannten, Frau eine Abwechslung erhalten, vielleicht schon
Ende dieses Monats, wenn er bis dahin schon Urlaub erhalten kann.
Folgende astronomische Notiz wird Ihnen vielleicht nicht un
interessant sein. Vor mehr als 50 Jahren machte die angebliche
Entdeckung von brennenden Mondsvulkanen durch Herschel be
kanntlich viel Aufsehen, und obgleich man in Deutschland nicht
recht daran glauben wollte, hahen auswärtige Beobachter sich doch
noch lange so ausgedrückt, als ob an der Sache kein Zweifel wäre.
Die letzte Vulkansbeobachtung, die ich kenne, ist von Kater
4. bis 6. Februar 1821 (Philosophical Transactions for 1821, Part 1).
Dieselbe Erscheinung hatte aber auch Olbers am 5. Febr. 1821 be
obachtet, aus dessen interessantem brieflichen Berichte ich in den
Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1821 S. 449 einen Auszug ge
geben habef 1 ], welchen ich Sie nachzulesen bitte, wenn Ihnen die
G. G. A. dort zugänglich sind. Olbers scheint am 5. das Phänomen
viel prononzierter gesehen zu hahen als am 4. Kater, der am
5. Febr. nicht selbst beobachtete, und auf Rechnung des Wetters
setzt, daß ein paar Freunde, denen er sein Fernrohr am 5. abge
treten hatte, es als schwächer wie am Tage vorher schilderten.
Olbers setzt die Ursache der Erscheinung in eine spiegelartige
Reflexion des Erdlichts von einer Felswand, woraus sich erklärt,
warum es nur in seltenen speziellen Librationsverhältnissen sich
zeige.
Ich finde nun nach einem flüchtigen Überschläge, daß am
24. Mai d. J. abends ziemlich nahe dieselben Librationsverhältnisse
eintreten wie am 5. Febr. 1821, und noch etwas näher abermals am
20. Junius. Es scheint also wohl der Mühe wert, an diesen Abenden
auf den linken Teil des Mondes acht zu gehen, und ich teile Ihnen
diese Notiz um so lieber mit, da für einen Beobachtungsort die
Gefahr der Vereitlung durch ungünstiges Wetter größer ist als für
mehrere. Eine öffentliche Anzeige habe ich nicht machen mögen,
da ich dergleichen vorzeitiges Ausklingeln nicht liebe*; ich werde
aber noch nach einigen andern Orten Privatnachricht geben. Übri-
• Ich habe aber gar nichts dagegen, wenn Sie vielleicht noch jemand aufmerksam
machen wollen, z. B. Nicolai, da ich wohl nicht dazu komme, an diesen diesmal seihst
zu schreiben.
t 1 Siehe Gauß’ Werke, Bd. VI, S. 436.]