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Grosses, unendlich Kleines und Endliches nach gemeinsamer Me
thode zu einer umfassenden Mathematik zu erheben. Auch die
Abneigung gegen die philosophische Beurteilung der Grundlagen,
die Sucht nach Selbstschaffung durch Definitionen und die an
spruchsvolle Vertretung einer eigenen „unangreifbaren“, mit mathe
matischen Definitionen verquickten und dem Nichtfachmann ver
dunkelten, sehr minderwertigen „Philosophie“ wird bei dieser Frage
beleuchtet.
V. Grenzkurve, Stetigkeit und Existenz von Differentialquotienten
(Richtungen).
Ich will mich zuerst einer leicht verständlichen, allgemeinen
Ausdrucksweise bedienen, um hernach mathematisch genauer zu
formulieren. Wenn man eine krumme Linie oder Kurve auf Papier
zeichnet, so pflegt man es so zu tun, dass der Bleistift nirgends
das Papier unberührt lässt, keinen Sprung macht, nicht absetzt,
um an einer anderen Stelle wieder zu beginnen. Man könnte eine
so gezeichnete Kurve eine zusammenhängende oder stetige nennen.
Nur ist diese Beschreibung noch recht ungenau. Wir haben dabei
bloss ein sinnliches Bild unserer Wahrnehmung vor uns, die Linie
hat eine Breite, wenn auch nur eine geringe, eigentliche Punkte
sind nicht vorhanden. Wir haben auch nicht genau genug gesagt,
was bedeuten soll: eine Unterbrechung, ob nicht etwa eine un
sichtbar kleine Unterbrechung als keine gelten soll. Kurz man
wird sich die Stetigkeit schärfer vorstellen als das sinnlich Wahr
nehmbare ; man wird sogar von beliebig kleinen Stückchen der
Kurve, beliebig nahen Punkten auf derselben reden, die man sich
vorstellt (sinnlichvorstellbar). Soll aber der Punkt selbst keine
solche Ausdehnung mehr haben wie das Stück einer Linie, so hat
man dabei entweder das Verlangen, dass er gar keine Ausdehnung
habe oder eine solche von so geringer Art, dass sie gegenüber
den anderen (endlichen) nicht mehr in Betracht kommt (nach mir
untersinnlich vorstellbar, sonst auch mit Null oder als Grenze einer
immer kleiner werdenden Ausdehnung bezeichnet), ln der Vor
stellung kann man dergleichen fortsetzen; es erscheint möglich,
dass die ganz genaue Unterscheidung von sehr feinen Krümmungen,
die spitzenartig werden, Berührungen usw. in immer feinere Auf