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anders. Es soll dies darum möglich sein, weil das Parallelenaxiom
ein echtes Axiom, also unbeweisbar und völlig unabhängig von
allen anderen Grundsätzen des Raumes sei. Es wird dadurch, wie
man sieht, ein innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen
Elementen aufgegeben, es wird angenommen, dass man auch in
Zukunft einen inneren Zusammenhang zwischen ihnen nicht finden
wird und finden kann, dass man ein für allemal fertig ist mit
seiner Weisheit beziehlich der Raumeigenschaften, dass der Raum
ein Stückwerk ist, zusammengebackt aus für sich bestehenden
oder ihrem Wesen nach voneinander unabhängigen Einzelheiten.
Wie man darauf kam, ist bekannt. Man hatte unzählige Male
versucht, den Satz zu beweisen, dass bei zwei Parallelen, die von
einer dritten Geraden geschnitten werden, die an dieser, nach
einer Seite liegenden, inneren Winkel zusammen zwei Rechte be
tragen (oder dafür zwei Wechselwinkel einander gleich sind usw.),
oder auch den Satz, dass die Summe der Winkel im Dreiecke
gleich zwei Rechten ist; denn dieser Satz beruhe ganz und gar
auf jenem ersten von den Parallelen. Und der Beweis von den
Winkeln bei den Parallelen beruht wieder auf dem Satze von der
einzigen Parallelen. Legt man die Schneidende senkrecht zn einer
der Parallelen, so fragt es sich, ob der Winkel an der anderen
auch durchaus ein Rechter sein muss. Den Beweis dafür hielt
man für immer missglückt. Und endlich glaubte man der Quälerei
ein für allemal ein Ende zu machen, indem man behauptete, es
könne (!) niemals ein Beweis gefunden werden; denn es folge dies
in keiner Weise aus den übrigen Grundeigenschaften des Raumes,
es sei vielmehr die Tatsache, dass dann der andere Winkel ein
Rechter sei, dass nur eine einzige Parallele existiere, nämlich
solche, bei der dieser Winkel ein Rechter sei, eine völlig für sich
gesonderte Tatsache, die anders sein könne, ohne dass dann die
übrigen Eigenschaften des Raumes, die übrigen Grundvorstellungen
und Grundsätze, notwendig sich ändern. Natürlich suchte man
dann die Definition der Parallelen zu ändern. Man glaubte an
nehmen zu dürfen, dass jener zweite Winkel spitz sein könnte
(ohne Umstürzung der anderen Grundeigenschaften des Raumes,
und dass der Schenkel dieses spitzen Winkels Parallele heissen
müsse, die andere parallele Gerade nicht zu schneiden brauche.
Werde aber dieser bestimmte spitze Winkel noch spitzer in einer
solchen Geometrie, bezw. in einem solchen möglichen Raume, so
schneide sein Schenkel die andere Gerade, natürlich erst in weiter