letzter Linie stets die Übereinstimmung mit einem „realen“ Gegen-
stande zu bezeichnen pflegen; die Geometrie aber befaßt sich nicht
mit der Beziehung ihrer Begriffe zu den Gegenständen der Erfah-
rung, sondern nur mit dem logischen Zusammenhang dieser Begriffe
untereinander.
Daß wir uns trotzdem dazu hingezogen fühlen, die Sätze der
Geometrie als „wahr“ zu bezeichnen, erklärt sich leicht. Den geo-
metrischen Begriffen entsprechen mehr oder weniger exakt Gegen-
stände in der Natur, welch letztere ohne Zweifel die alleinige Ur-
sache für die Entstehung jener Begriffe sind. Mag die Geometrie, um
ihrem Gebäude die größtmögliche logische Geschlossenheit zu geben,
hiervon Abstand nehmen; die Gewohnheit, beispielsweise in einer
Strecke zwei markierte Stellen auf einem praktisch starren Körper zu
sehen, steckt tief in unseren Denkgewohnheiten. Wir sind ferner ge-
wohnt, drei Orte als auf einer Geraden befindlich anzunehmen, wenn
wir ihre scheinbaren Sehorte durch passende Wahl des Beobachtungs-
ortes bei einäugigem Sehen zusammenfallen lassen können.
Wenn wir nun, der Denkgewohnheit folgend, den Sätzen der
euklidischen Geometrie den einzigen Satz zufügen, daß zwei Punkten
eines praktisch starren Körpers stets die nämliche Entfernung (Strecke)
entspreche, was für Lagenänderungen wir auch mit dem Körper
vornehmen mögen, so werden aus den Sätzen der euklidischen Geo-
metrie Sätze über die mögliche relative Lagerung praktisch starrer
Körper!). Die so ergänzte Geometrie ist dann als ein Zweig der
Physik zu behandeln. Jetzt kann mit Recht nach der „Wahrheit“ so
interpretierter geometrischer Sätze gefragt werden, denn es kann
gefragt werden, ob jene Sätze zutreffen für diejenigen realen Dinge,
welche wir den geometrischen Begriffen zugeordnet haben. Etwas
ungenau können wir also sagen, daß wir unter der „Wahrheit“ eines
geometrischen Satzes in diesem Sinne sein Zutreffen bei einer Kon-
struktion mit Zirkel und Lineal verstehen.
Die Überzeugung von der „Wahrheit“ der geometrischen Sätze in
diesem Sinne beruht natürlich ausschließlich auf ziemlich unvoll-
1) Damit ist auch der geraden Linie ein Naturobjekt zugeordnet. Drei
Punkte eines starren Körpers A, B, C liegen dann in einer Geraden, wenn
bei gegebenen Punkten A und C der Punkt B so gewählt ist, daß die Summe
der Entfernungen AB und BC möglichst gering wird. Diese lückenhafte
Andeutung mag in diesem Zusammenhange genügen.
2