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C. Höhere Geodäsie
aus denen die jeweilige Pollage bestimmt werden kann. Ein eige
ner Internationaler Breitendienst verfolgt zu diesem Zwecke auf
verschiedenen Sternwarten, insbesondere auf vier Stationen in der
Nähe des 39. Parallels nördlicher Breite fortlaufend die Polhöhen
schwankungen. Die bisherigen Messungen haben ergeben, daß der
Pol um eine Mittellage in einem dem Uhrzeiger entgegengesetzten
Sinne eine vielfach gestörte, spiralförmige Kurve beschreibt, deren
zukünftiger Verlauf noch nicht mit voller Sicherheit angegeben
werden kann. Figur 266, in welcher P n eine aus früheren Beob
achtungen gewonnene Mittellage des Nordpols und X den Meridian
durch Greenwich bedeutet, zeigt den Verlauf der Polwanderung
von Anfang 1906 bis Anfang 1913 x ).
Die hauptsächlich aus der wechselnden Stellung von Mond
und Sonne zur Erde entspringenden sehr geringen Formänderungen
des Geoids verraten sich besonders in Lotbewegungen, welche aus
Beobachtungen an Horizontalpendeln abgeleitet werden. Ein Ver
gleich der für eine völlig starre Erde theoretisch berechneten Lot
wanderung mit der wirklichen Lotbewegung sowie der Verlauf der
Polwandei'ung ermöglichen einen zahlenmäßigen Schluß auf den
Starrheitskoeffizienten und die Formänderung der Erde. Die Unter
suchung dieser Fragen kann jedoch heute noch nicht als abge
schlossen betrachtet werden 1 2 ).
1) An Literatur über die Erdachsenschwankung siehe insbeson
dere die Verhandlungen der allgemeinen Konferenzen der Internatio
nalen Erdmessung seit 1888 und die vom Zentralbureau der Inter
nationalen Erdmessung seit 1903 durch Th. Albrecht und B. Wanach
in verschiedenen Bänden herausgegebenen Resultate des Internatio
nalen Breitendienstes. Eine übersichtliche, gemeinverständliche Dar
stellung des Problems enthält Przybyllok, Polhöhenschwankungen,
Braunschweig 1914.
2) Für ein eingehenderes Studium sei hauptsächlich auf Hecker,
Beobachtungen an Horizontalpendeln über die Deformation des Erd
körpers unter dem Einfluß von Sonne und Mond, Berlin 1907 (II. Heft
Berlin 1911) sowie Schweydar, Untersuchungen über die Gezeiten
der festen Erde und die hypothetische Magmaschicht, Potsdam 1912,
und Harmonische Analyse der Lotstörungen durch Sonne und Mond,
Potsdam 1914 (sämtlich als Veröffentlichungen des K. Preußischen
Geodätischen Instituts, Neue Folge, erschienen), ferner auf die Ver
handlungen der allgemeinen Konferenzen der Internationalen Brd-
messung in den letzten Jahren verwiesen.