Berechtigung der nicht-euklidischen Raumformen.
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die Folgerungen aus der Rechnung weder unter einander noch
mit den aufgestellten Voraussetzungen in Gegensatz treten.
Neben das von Euklid entwickelte System der Geometrie
stellt sich demnach als theoretisch gleichberechtigt ein zweites,
worin die Summe der Winkel eines Dreiecks weniger als zwei
Rechte beträgt. Dasselbe kann auch durch die Annahme charak
terisiert werden, dafs durch jeden Punkt außerhalb einer Geraden
mehrere in derselben Ebene liegende gerade Linien möglich sind,
welche die gegebene Gerade bei unbegrenzter Verlängerung nicht
treffen. Es wird am passendsten nach Lobatschewsky benannt,
der zuerst öffentlich darüber gehandelt hat, wenngleich Gauls seine
Eigenschaften wahrscheinlich früher gekannt hat.
Die Geometrie Lobatschewski^ behält die Annahme bei, dafs
die Gerade unendlich sei. Diese Voraussetzung erscheint vielleicht
manchem selbstverständlich. Aber es kann nicht oft genug darauf
hingewiesen werden, dafs der Geist nur zu gern bereit ist, die
jenigen Sätze, welche er regelmäfsig in der Erfahrung, wenn auch
nur angenähert, verwirklicht findet, als allgemein und streng gültig
vorauszusetzen. Aber bei allen Anschauungen können wir nur
ein sehr kleines Gebiet des Raumes benutzen; zudem liefern uns
die Figuren, aus denen wir derartige Erfahrungen schöpfen, nie
mals ein völlig getreues Bild. Nun können wir allerdings eine
gerade Linie unbegrenzt verlängern, und für eine beliebig gewählte
Fläche der Zeichnung entfernen wir uns vom Ausgangspunkte
immer mehr, je weiter wir die Verlängerung fortsetzen. Aber diese
Thatsache gilt nur für beschränkte Räume; es fehlt uns vielmehr
jede Möglichkeit, die allgemeine Gültigkeit dieser Erfahrung zu
prüfen. Daher ist es denkbar, dafs die Gerade bei fortgesetzter
Verlängerung in ihren Anfangspunkt zurückkehrt. Darauf deutet
die enge Beziehung hin, welche nach § 14 zwischen den ein
fachsten krummen Flächen des Lobatschewskyschen Raumes besteht.
Die Geometrie auf der Kugel hat ferner, wie § 17 zeigt, so
grofse Ähnlichkeit mit der der (euklidischen) Ebene, wofern die
Gerade durch den Flauptkreis ersetzt wird, dafs es jedenfalls der
Untersuchung lohnt, ob wirklich die Unendlichkeit im Begriff der
Geraden liegt.
Sobald man versucht, aus der Annahme, dafs die Gerade
geschlossen sei, weitere Folgerungen zu ziehen, ergeben sich zwei