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Erster Abschnitt. § 26.
verschiedene Möglichkeiten (§ 18): einmal können alle von einem
Punkte ausgehenden geraden Linien noch durch einen zweiten
Punkt gehen, zweitens können zwei gerade Linien, welche von
einem Punkte ausgehen, in den Anfangspunkt zurückkehren, ohne
einen weitern Schnittpunkt zu besitzen. Beide Möglichkeiten
führen zu einem in sich abgeschlossenen, widerspruchsfreien
Systeme, dessen Aufbau sich sehr einfach ergiebt (§ 19, 20) und
für welches die trigonometrischen Formeln ganz denen der Sphärik
entsprechen, so dafs die analytische Behandlung keinerlei Schwierig
keit macht (§ 21). Die beiden Systeme zeigen eine grofse Über
einstimmung, ohne jedoch identisch zu sein; die erstere Mög
lichkeit möge nach Riemann benannt werden, welcher zuerst ihre
Berechtigung nachgewiesen hat, die andere als deren Polarform
oder auch als Kleinsche Raumform bezeichnet werden.
Nach den durchgeführten Entwicklungen kann an der theo
retischen Berechtigung der verschiedenen Raumformen nicht ge-
zweifelt werden. Schon die mitgeteilten geometrischen Sätze
machen es zum mindesten sehr unwahrscheinlich, dafs sich beim
weiteren Aufbau ein innerer Widerspruch ergeben sollte; die Auf
stellung analytischer Formeln, welche allen notwendigen Voraus
setzungen der Geometrie entsprechen, schliefst eine solche Mög
lichkeit ganz aus.
Dadurch ist denn der tiefere Grund für die Lücke gefunden,
welche sich in Euklids Elementen findet. Wenn die Geometrie
mit voller Strenge aufgebaut wird, so darf sie keine Voraussetzung
über die Unendlichkeit der Geraden und über die Parallelen-
Theorie machen. Dann kann sie eine Reihe von Sätzen un
mittelbar entwickeln; es sind vor allem die Sätze 1—15, 18— 26
des ersten Buches Euklids, dann der erste Teil der Kreislehre
(Buch III bei Euklid) mit Ausnahme des Satzes vom Peripherie
winkel und der daraus fliefsenden Folgerungen, endlich manche
Sätze der Stereometrie, und zwar zum Teil auch solche, bei deren
Beweise Euklid die Parallelentheorie benutzt. Darauf spaltet sich
die Geometrie in mehrere, theoretisch gleich berechtigte Zweige,
und nur dann ist die Geometrie ein volles Ganze, wenn alle diese
Möglichkeiten bis zu einem gewissen Abschlufs entwickelt werden.
Es ist am natürlichsten, jede einzelne Figur nach den verschiedenen
Möglichkeiten hin zu untersuchen. Dann erkennt man bei jedem