176
Dritter Abschnitt. § 5.
Andererseits ist behauptet worden, der Raum besitze eine
gröfsere Zahl von Dimensionen und scheine uns nur dreidimen
sional zu sein. Da die Gründe, welche für diese Behauptung
angeführt werden, aber nicht mathematischer Natur sind, müssen
wir von ihrer Prüfung hier absehen. Zudem ist es für die fol
genden Untersuchungen gleichgültig, ob der Leser annimmt, die
Erfahrung beweise streng die Dreizahl der Dimensionen des
Raumes, oder ob er meint, die Erfahrung gestatte die Annahme
einer gröfseren Zahl von Dimensionen. Ich selbst bin, wie ich
schon hier erwähnen möchte, der festen Überzeugung, dafs die
Dreizahl der Dimensionen durch die Erfahrung aufs strengste
erwiesen wird, und ich kann allen gegenteiligen Gründen keine
Beweiskraft beilegen.
Um aber zu einer Antwort auf die Frage zu gelangen, ob
ein mehrdimensionaler Raum begrifflich möglich sei, wenden wir
uns zu der sogenannten mehrdimensionalen Geometrie. Wir
gehen von der Analysis aus und werden dann immer mehr zu
einer Wissenschaft gelangen, welche den Namen der Geometrie
verdient. 29 )
§ 5.
Grafsmanns Ausdehmingslehre.
Ehe wir zu den angekündigten Entwicklungen übergehen,
wird es notwendig sein, der ältesten, bereits hoch entwickelten
Theorie zu gedenken, welche zuerst über den mehrdimensionalen
Raum aufgestellt ist. Es ist Grafsmanns Ausdehnungslehre, von
der uns hier aber nur ein kleiner Teil interessiert. Dabei schliefsen
wir uns, meistens mit den eigenen Worten des Auktors, dem
Überblick an, welchen Grafsmann selbst bereits im Jahre 1845
im 6, Bande von Grunerts Archiv veröffentlicht hat. 30 )
Grafsmann hebt hervor, dafs die Sätze der Raumlehre eine
Tendenz zur Allgemeinheit haben, die in ihr vermöge ihrer Be
schränkung auf drei Dimensionen keine Befriedigung findet. Er
erläutert dies an zwei Beispielen: 1. Zwei gerade Linien derselben
Ebene schneiden sich in einem Punkte, ebenso eine Ebene und
eine Gerade, zwei Ebenen in einer geraden Linie, vorausgesetzt,
dafs die Geraden, oder die Ebene und die Gerade, oder die Ebenen
nicht zusammenfallen, und die Durchschnitte im Unendlichen