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Siebenter Abschnitt. Geometrische Methoden. II.
Seine Classification der quadratischen und kubischen Gleichungen, so
weit sie reelle positive Wurzeln besitzen, und worauf die älteren Al-
gebristen, bis zu Cardano herauf, ein besonderes Gewicht legten, ist
bereits in § 90 ausführlich mitgetheilt worden. Es ist anzunehmen,
dass Cardano seine Tabelle selbständig erfand; er fügte auch nach der
Erfindung Ferrari’s das System der biquadratisehen Gleichungen hinzu.
Da jene schönen algebraischen Untersuchungen der Araber der
älteren italienischen Schule anscheinend unbekannt geblieben und erst
in neuester Zeit im Occident wieder ans Licht gezogen sind, so wui’den
die geometrischen Methoden von den Nachfolgern der altitalienischen
Schule selbständig und zwar zuerst von Cartesius nacherfunden und
bald darauf gaben van Schooten, Hudde, Baker, Halley und ßo-
berval verschiedene Methoden an, die allgemeinen kubischen und bi-
quadratischen Gleichungen mittels Anwendung der Kegelschnitte auf
zulösen. Newton endlich zeigte in seiner Arithmetica universalis, wie
auch eine andere mechanisch construirbare Curve, die Conchoide des
Nicomedes, welcher dieser sich zur Lösung des delischen Problems,
sowie auch zur Trisection des Winkels bediente, sich mit Yoi’theil zur
Auflösung der kubischen und biquadratisehen Gleichungen verwenden
lasse. In der That aber ist nichts geeigneter, die Existenz sowol reeller
als complexer Wurzeln vor die Augen zu führen, als diese Art geo
metrischer Interpretation der algebraischen Formen, an welche die
Bedingung geknüpft ist, für jene speciellen näher zu bestimmenden
Werthe der Variabein einen vorher bestimmten Werth anzunehmen.
II. Geometrische Auflösung der linearen Gleichungen.
§ 355. Die Methode der Wagschalen nach Ihn Albanna*).
Der Methode, welche die arabischen Algebristen Abraham
ben Esra (1130), Ihn Albanna (1222) und sein Commentator
Alkalzadi (1470) unter dem Namen der Methode der Wagschalen
(äml b’il Jcajfatain) zur Bestimmung der Wurzel werthe einer Gleichung
vom ersten Grade in einer schematischen Rechnungsform anwenden,
liegt augenscheinlich ein geometrisches Princip zu Grunde. Ibn
Albanna bezeichnet diese eigenthümliche noch jetzt unter dem
Namen der Regel der falschen Substitutionen oder Rechnung der
beiden Fehler (lat. regula falsorum, arab. hisäb al-khata'ain) ange
wandten Bestimmungsart der Wurzeln als eine Methode der Pro
portionen. Er fügt ausserdem hinzu, die Methode sei „liindissije
von welchem Worte es freilich zweifelhaft ist, ob es „indisch“ oder
„geometrisch“ bedeuten soll. Die Regel besteht in Folgendem.
Die gegebene Gleichung sei