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I. Abschnitt. Die Raumkurven.
§ 5. Torsion oder zweite Krümmung*.
Die Betrachtung der einfachsten geometrischen Gebilde,
die sich aus drei konsekutiven Punkten der Raumkurve,
P, P', P", ergeben, ist durch das Vorhergehende erledigt.
Wie man leicht sieht, besitzt auch eine ebene Kurve alle
diese Gebilde. Etwas wesentlich Neues erhalten wir aber
für die Raumkurve, wenn wir noch einen vierten, dem
Punkt P" unendlich benachbarten Punkt P'"zur Betrachtung
heranziehen. In der analytischen Darstellung treten außer
den ersten und zweiten auch noch die dritten Differentiale
der Koordinaten auf. Diese sind definiert durch die
Gleichungen
(1) d d x = f'"{u)du B , d n y = cp'"{u)du B , d 5 z = ip'"{u)du 3 .
Die vier Punkte P, P', P", P"' werden nun im all
gemeinen nicht in einer Ebene liegen, sondern die Ebene
durch die drei ersten Punkte P, P', P" (Schmiegungsebene
des Punktes P) und die Ebene durch die drei letzten
P', P", P'" (Schmiegungsebene des Punktes P') werden
miteinander einen unendlich kleinen Winkel dr einschließen.
Derselbe ist offenbar gleich dem Winkel der Binormalen in
P und P' (s. Fig. 4, wo P'B 1 PP). Wie nun der Kon
tingenzwinkel dt, d. h. der Winkel zweier konsekutiven Tan
genten zur Krümmung — = — führt, so führt der Winkel dr
T CvS
zum Begriff der Torsion oder zweiten Krümmung. Wir
definieren:
1) Torsionswinkel des Punktes P heißt der Winkel dr
zwischen der Schmiegungsebene in P und der darauffolgenden
Schmiegungsebene in P'.
2) Torsion oder zweite Krümmung im Punkt P
dr 1
heißt der Wert — = die Größe o heißt Torsionsradius.
ds Q
Wie die Krümmung — = ^~ ein Maß ist für die Ab-
r ds
weichung der Kurven von einer Geraden, der Tangente im
Punkt P, so gibt die Torsion — = ^ ein Maß für die Ab-
1 8 q ds
weichung der Raumkurve von einer Ebene, der Schmiegungs
ebene im Punkt P. Für eine ebene Kurve ist überall = 0;