Full text: Einführung in die Grundlagen der Geometrie (2. Band)

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Siebenter Abschnitt. § 10. 
Statt aut diese Axiome näher einzugehen, begnüge ich mich 
mit folgender Bemerkung. 
Der italienische Gelehrte meint, jede Rücksichtnahme auf die 
Erfahrung verletze die Würde der Geometrie als einer reinen 
Wissenschaft. Vielleicht darf man mit gröfserem Rechte sagen, 
der Ausgang von willkürlichen Annahmen sei einer Wissenschaft 
unwürdig. Jedenfalls kann aber die Aufstellung von Voraus 
setzungen, die in der That oder scheinbar den Charakter der 
Willkür an sich tragen, nur dann Interesse beanspruchen, wenn 
man von ihnen aus in voller Strenge zur Erfahrung gelangt. Aber 
alsdann mufs man erstens auf alle Möglichkeiten geführt werden, 
die mit der Erfahrung vereinbar sind, und zweitens mufs die 
Übereinstimmung nicht erst durch ein willkürliches Axiom po 
stuliert werden. 
§ 10. 
Grundbegriffe und Grundsätze der Geometrie. 
Nachdem wir in den vorangehenden Paragraphen mehrere 
Versuche, eine genügende Grundlage der Geometrie zu schaffen, 
eingehend besprochen haben, möchten wir jetzt dazu übergehen, 
diejenigen Begriffe und Urteile anzugeben, die unseres Erachtens 
am natürlichsten zur Grundlage der Geometrie gewählt werden. 
Wir glauben jedoch einige Bemerkungen vorausschicken zu sollen. 
Dafs die Geometrie gewisse Sätze unbewiesen voraussetzen 
und darauf den Beweis für ihre weiteren Sätze stützen müsse, ist 
von jeher anerkannt. Aber ganz Entsprechendes gilt für die Be 
griffe. Die Bildung von Begriffen geschieht in der Geometrie 
durch Definitionen, deren Wesen darin besteht, mehrere Begriffe 
zu einem einzigen neuen zu verbinden. Daraus folgt, dafs auch 
die Bildung von Definitionen einmal ihre Grenze findet, und dafs 
gewisse Begriffe, ohne selbst definiert werden zu können, allen 
Definitionen zu Grunde liegen; sie mögen als Grundbegriffe der 
Geometrie bezeichnet werden. Damit dieser Name einem System 
von Begriffen beigelegt werden kann, hat dasselbe somit drei 
Bedingungen zu genügen: erstens mufs jeder dieser Begriffe für 
die Geometrie notwendig sein, zweitens mufs das System nicht 
auf eine geringere Zahl von Begriffen zurückgeführt werden können, 
und drittens zur Gewinnung aller geometrischen Begriffe ausreichen.
	        
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