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Uber innere Folgerichtigkeit.
Wir haben also hier einen Stamm, aus dem Folgerungen in un
erschöpflicher Menge herausgeholt werden können.
Wie soll man nun die Haltbarkeit eines Stammes prüfen, wenn
er unendlich viele Folgerungen zuläßt? Die Verlegenheit tritt
schon dadurch ein, daß man nicht weiß, wie man sich die Gesamt
heit aller Folgerungen aus dem Stamm verschaffen kann; es ist
noch gar nicht nötig, daß die Anzahl der Folgerungen geradezu als
eine unendliche erkannt ist. Es kann dann nicht mehr davon die
Rede sein, daß man alle einzelnen Folgerungen aus dem Stamm
mit jedem einzelnen Stammsatz vergleichen soll. Ebensowenig aber
weiß ich eine andere Anleitung aufzustellen, die jemanden in den
Stand setzen könnte, wenn ihm ein beliebiger Stamm vorgelegt
wird, über die Möglichkeit von Widersprüchen zweiter Stufe zu
urteilen, selbst wenn er sich auf die einfachere Art dieser Wider
sprüche beschränkt.
Wohlverstanden: Die Schwierigkeit liegt nicht darin, daß ein
Zeitaufwand nötig werden kann, der die Dauer des menschlichen
Lebens weit übersteigt, und daß daran die Arbeit scheitern würde.
Vielmehr spielen Zeit und Mühe — das habe ich schon erklärt —
hier keine Rolle. Bei dem Beispiel aus dem Handelsverkehr, das
uns zum Ausgangspunkt gedient hat, wird man an eine Arbeit von
ziemlich mäßigem Umfang denken. Auf demselben Gebiet liegen
aber auch Arbeiten von ungeheurem Umfang, z. B. wenn jemand
den Jahresabschluß einer Großbank rechnerisch nachprüfen soll,
und zwar im vollen Sinn des Wortes, nicht etwa bloß durch Stich
proben. Ebenso verhält es sich, wenn ein „Stamm“ auf Anhörbar
keit zu untersuchen ist. Die Anzahl der erforderlichen Vergleichun
gen ist begrenzt und kann sich in erträglichen Grenzen bewegen;
wer jedoch als Stamm das Material eines Monstreprozesses zu unter
suchen hat und sich nicht auf Stichproben beschränken darf, steht
vor einer erdrückenden Aufgabe. Aber in allen derartigen Fällen,
auch den verwickeltesten, ist die Arbeit begrenzt und Schritt für
Schritt vorgezeichnet; es wäre jedesmal möglich, im voraus eine
Höchstzahl für die Schritte festzustellen, aus denen die Arbeit be
stehen wird und nach deren Zurücklegung man das Ziel unfehl
bar erreicht 1 ).
Das Andersartige bei der Entscheidung über die Haltbarkeit
eines Stammes besteht eben darin, daß wir keine Anweisung be
sitzen, die uns angesichts eines beliebig gegebenen Stammes un
fehlbar zur Entscheidung hinleitet, wenn auch noch so viele ein
zelne Schritte zurückgelegt werden müßten. Damit ist nicht gesagt,
1 ) Vgl.: Veränderliche und Funktion, § 74.