Full text: Mathematik und Logik

20 Über den Bildungswert der Mathematik. 
matik au der Universität zu pflegen hat, nicht gleichgültig sein, 
welchen Beitrag er liefert zur allgemeinen Bildung seiner Zeit. 
Denn an den technischen Hochschulen, an denen der Unterricht 
in der Mathematik auf hoher Stufe steht, liegen die Verhältnisse 
doch anders als an den Universitäten, wo die spezielleren 
Teile der Mathematik im wesentlichen vor den künftigen Lehrern 
unserer höheren Schulen vorgetragen werden. Die Ausbildung 
dieser Lehrer ist es demnach hauptsächlich, wodurch wir auf 
unsere Zeit Einfluß üben. Nun entfernt sich aber der akademi 
sche Lehrstoff von dem, was der spätere Beruf des Studieren 
den unmittelbar beansprucht, in keinem Fach so weit wie 
in der Mathematik. Der bildende Wert wird also nicht bloß 
in dem Lehrstoff selbst, in der Aufnahme der einzelnen Kennt 
nisse zu suchen sein, sondern ebensosehr in dem Verfahren, das 
überall zur Geltung kommt. Das Verfahren aber ist so über 
wiegend die Deduktion, daß wir mit dieser uns hier zunächst 
allein zu befassen haben. 
Gewiß bedienen wir uns der reinen Deduktion auf allen Ge 
bieten, im täglichen Leben nicht minder als in den Wissenschaften 
und bei denjenigen Beschäftigungen, für die wissenschaftliche 
Schulung vorausgesetzt wird. Nirgends aber herrscht diese reine 
Deduktion mit solcher Ausschließlichkeit wie in der Mathematik, 
die ihr besonderes Gepräge eben dadurch erhalten hat. Wie 
schnell würde selbst unsere nächste Nachbarin, die Astronomie, 
sich zur Unfruchtbarkeit verurteilt sehen, wenn sie gleich uns 
versuchen wollte, von irgendwelchen Grundlagen aus durch Schluß 
folgerungen allein ihren Stoff weiterzuspinnen! Mit Recht mag 
man daher von mathematischem Denken, von mathematischer Be 
weisführung sprechen als von einer Methode, die mit keinem 
anderen Wissensstoff innerlich verbunden ist, während sie bei 
dem von der Mathematik behandelten Stoff sich von selbst auf 
drängt und für sich allein ausreicht, um der Forschung unerschöpf 
liche Fruchtbarkeit zu sichern. 
Zw r ar konnten die ersten Anfänge nicht auf diesem Wege ge 
wonnen werden. Zuerst muß jede Wissenschaft Angeschautes 
sammeln und verarbeiten. Demgemäß ist auch nicht zuerst der 
abstraktere Teil der Mathematik, die Lehre von den Zahlen, aus 
gebildet worden, sondern die Geometrie, die Erdmeßkunst und 
Meßkunst überhaupt, die sich bald zur Lehre von Maß und Gestalt 
erweiterte. Und hier mußte man allmählich inne werden, daß es 
möglich ist, auf einem sicheren Weg zu neuen geometrischen 
Wahrheiten zu gelangen, ohne daß Beobachtungen gemacht oder 
Versuche angestellt werden. Die so erreichbaren Wahrheiten
	        
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