Full text: Mathematik und Logik

Uber den Bildungswert der Mathematik. 
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nannte man Theoreme, Lehrsätze. Die Richtigkeit eines jeden 
Lehrsatzes wird durch einen besonderen Beweis festgestellt. Der 
Beweis nimmt auf die vorangegangenen Sätze Bezug; was in 
diesen Sätzen nicht niedergelegt ist, darf in den Beweis nicht 
verflochten werden. Ist ein derartiger Beweis des Lehrsatzes er 
bracht , so steht der Satz unumstößlich fest für jeden, der die 
vorhergegangenen Sätze anerkennt. Indem nun die Mathematik 
von einer gewissen Stelle an nur Lehrsätze, Sätze mit streng 
deduktiven Beweisen duldet, gewinnt sie den hohen Grad von 
Zuverlässigkeit, wegen dessen man von mathematischer Gewißheit 
zu sprechen pflegt. Sie beginnt mit einer Reihe von einfachen 
Aussagen, die unsere unmittelbare Anerkennung beanspruchen; 
haben wir uns mit diesen Grundwahrheiten vertraut gemacht, so 
müssen die daraus hergeleiteten Lehrsätze uns als unanfechtbar 
erscheinen, wie verwickelt ihr Inhalt auch sein mag. 
Wenn man also Mathematik lernt, so wird verlangt, daß man 
erstens gewisse Grundwahrheiten — Axiome. Kernsätze l ) — an 
erkennt, und daß man zweitens folgerichtig weiterdenkt, d. h. Schritt 
für Schritt nur solche Aussagen aufnimmt, die sich aus vorher 
gegangenen mit Notwendigkeit ergeben. Dazu genügt aber, daß 
man die Sprache richtig versteht, und zwar nur diejenigen Be 
standteile der Sprache, die allen Denkgebieten gemein sind. Die 
Begriffe, die besonderen Denkgebieten, z. B. der Naturbeschrei 
bung, angehören, kommen nicht in Frage; die der Mathematik 
selbst eigentümlichen Begriffe aber spielen ihre Rolle bei den 
mathematischen Beweisen nicht vermöge ihrer sprachlichen Be 
deutung, sondern vermöge der Festsetzungen, die über sie ge 
troffen werden. Solche Festsetzungen sind zunächst die Kern 
sätze. Durch diese werden Beziehungen ausgesprochen, diezwischen 
den einfachsten mathematischen Begriffen, den Kernbegriffen, be 
stehen. Im weiteren Verlauf werden zahlreiche neue Begriffe 
eingeführt, Begriffe von zusammengesetzter Art. Jeder zusammen 
gesetzte Begriff muß definiert, d. h. über seine mathematische 
Bedeutung muß eine genau umgrenzte Festsetzung getroffen wer 
den. Und nur auf diese Festsetzung, auf die Definition des Be 
griffs, darf man bei seiner Anwendung sich berufen; jede Hinein- 
mischung sonstiger Vorstellungen ist unzulässig 2 ). 
Eine Reihe von Jahren wird der Schüler einer höheren Lehr 
anstalt zu solchem Denken angeleitet, das im Grunde nur auf die 
*) Siehe Seite 17. 
-) Nähere Ausführungen findet man in den „Vorlesungen über neuere 
Geometrie“ (Sachverzeichnis in der zweiten Ausgabe).
	        
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