120 Achtes Kapitel: Vorteile [§ 2
Ernte sich strammer zu gestalten beginnt. Im Gouvernement Samara
fällt z. B. der Korrelationskoeffizient für die Monate Oktober bis April
nicht unter wogegen er in den Monaten Juli, August, September
unter 0,5 bleibt. Diese Regelmäßigkeit ist von entscheidender Bedeu
tung für die Beurteilung der psychologischen Konstruktionen von
Dmitrieff. Es ergibt sich nämlich hieraus, daß der höhere Branntwein
konsum in Jahren guter Ernten weder durch das physiologische Bedürf
nis der durch die Bergung der reichen Ernte mehr als sonst erschöpften
Bauern und Landarbeiter erklärt werden kann, noch auf die „animierte“
Stimmung, welche durch den erfreulichen Ausfall der Ernte in der
ländlichen Bevölkerung ausgelöst wird, zurückzuführen ist, wie dies
Dmitrieff versucht hat. Der Einfluß der Ernte auf den Konsum muß
offenbar in etwas ganz anderem wurzeln.
Fragen wir nun, worauf die in verschiedenen Gegenden und zu ver
schiedenen Jahreszeiten so ungleich sich gestaltende Verbundenheit
des Branntweinkonsums mit dem Ernteausfall eigentlich beruht, so ist
die nächstliegende Antwort: Darauf, daß die Bevölkerung bei besserer
Ernte über reichlichere Mittel verfügt, welche sie für Schnaps ausgibt.
Diese Antwort hat allgemein als befriedigend gegolten, bevor Dmitrieff
den Versuch machte, diese Erklärung zu widerlegen. Daß diese Auf
fassung das Richtige trifft, erscheint angesichts der von uns betrachteten
Ergebnisse der Korrelationsmessungen als höchst plausibel: Unter
schiede in der Strammheit der Verbundenheit, welche wir kennen
gelernt haben, lassen sich gut daraus erklären, daß der Ernteausfall nicht
überall die gleiche Rolle in dem Haushalt des Bauern spielt und daß
die Ernte nicht überall zu gleicher Zeit realisiert wird. In solchen Ge
genden, wie Samara, ist der Ernteausfall für die Einnahmen des Jahres
so gut wie entscheidend, und anderseits wird da, dank der südlichen Lage,
zeitig geerntet und die Ernte zeitig auf den Markt gebracht. In Nord
rußland langt die Ernte selbst in guten Jahren nicht, um die Bedürf
nisse der Wirtschaft voll zu decken. Der Haushalt beruht zum größeren
oder kleineren Teil auf Einnahmen aus anderen Quellen (industrielle
Tätigkeit, Arbeit in den Waldungen usw.). Hier kann der Einfluß einer
guten Ernte nicht lange dauern; er kann außerdem durch die Schwan
kungen der anderweitigen Einnahmen durchkreuzt werden.
Diese an sich recht plausible Erklärung des Einflusses der Ernte auf
den Branntweinkonsum wird durch die weiteren Ergebnisse der Unter
suchung von Fräulein Winogradowa unwiderlegbar bestätigt. Wenn
diese Hypothese stimmt,so muß der entscheidende Einfluß auf denBrannt-
weinkonsum nicht von der geernteten Menge, sondern von dem Geld
werte der Ernte ausgehen, wobei er am schärfsten in den Monaten aus
geprägt sein dürfte, wo der Teil der Ernte, welcher nicht für die eigene
Wirtschaft zurückgehalten wird, auf den Markt gelangt. Um diesen
Faktoren nachzuspüren, hat Fräulein Winogradowa für eine Reihe
von Gouvernements Korrelationskoeffizienten zwischen dem Brannt-