36 Drittes Kapitel: Stochastische Verbundenheit [§ 5
Gesetz: Winkelsumme gleich um zwei verminderter Seitenzahl mal
180 Grad.
Nun ist aber das Gesetz des Naturforschers stets umkehrbar. Hat
man Y als eine explizite Funktion von X dargestellt, so kann man ver
mittelst formal-mathematischer Operationen und passender Symbole
auch X als eine explizite Funktion von Y darstellen: ist Y = X 2 , so ist
X gleich der Quadratwurzel aus Y; ist Y = a X -f- b, so ist X — ^ Y — -•
Die Regressionsgleichung von Y in bezug auf X und die Regressions
gleichung von X in bezug auf Y sind hingegen auseinander nicht
ableitbar. Die Regression der Summe der mit zwei Würfeln geworfenen
Zahlen in bezug auf die mit einem der Würfel geworfene Zahl läßt sich,
wie wir gesehen haben, durch die lineare Gleichung E^T — 3.5 -f- Xi
darstellen. Die Gleichung der Regression der mit einem Würfel geworfe
nen Zahl in bezug auf die Summe ist ebenfalls linear, sie hat aber die
Gestalt E^X = ^ Tj. Aus der einen Gleichung kann die andere durch
keine Künste des mathematischen Raisonnements erhalten werden:
beide müssen jede für sich und ganz unabhängig voneinander durch die
Betrachtung des Abhängigkeitsgesetzes gewonnen werden. An sich ist
dies.gar nicht überraschend, denn die beiden Regressionsgleichungen ver
binden gar nicht dieselben Größen: die eine verbindet die bedingte
mathematische Erwartung von Y mit X, die andere — die bedingte
mathematische Erwartung von X mit Y; sie haben ebensowenig mit
einander zu tun, wie eine Gleichung, die X und Y verbindet, mit einer
Gleichung, welche zwei von X und Y unabhängige Variablen U und W
verbindet. Dem aus der Schule der Naturwissenschaften zur Statistik
übergehenden Forscher schwebt jedoch der funktionelle Zusammenhang
zwischen Y und X vor, auf den ihm die Regressionsgleichungen hinzu
weisen scheinen, und dieses eigentümliche nicht umkehrbare Verhält
nis zwischen den Regressionsgleichungen bildet für die Naturforscher
einen Stein des Anstoßes. Sie können den Eindruck schwer überwin
den, daß dies eine der üblichen Behandlungsmethode der stochastisch
verbundenen Variablen anhaftende Unvollkommenheit sei, welche be
seitigt werden müsse durch die Berechnung einer einheitlichen Regres
sionsgleichung, die X und Y als gleichberechtigte Größen miteinander
funktionell verbindet und sowohl Y als Funktion von X, wie X als
Funktion von Y auszudrücken gestattet. Solche Bestrebungen zeugen
von einer Verkennung des Wesens der stochastischen Verbundenheit.
Sie sind jedoch nicht ohne weiteres zurückzu weisen, denn innerhalb ge
wisser Grenzen sind sie nicht unberechtigt. Bloß müssen eben diese
Grenzen eingehalten werden.
Wie diese Grenzen zu ziehen sind, ergibt sich unmittelbar aus den
Überlegungen über die doppelte Rolle, welche der Betrachtung von
stochastisch verbundenen Variablen zufallen kann. Da, wo die stochasti
sche Verbundenheit als eine Hülle erscheint, in welcher der gesuchte