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IV. Affine Geometrie.
reits bei den Grundsätzen vorhanden ist. Die Annahme der zweiten
Hypothese bezeichnet die nun zu behandelnde affine*) Geometrie, in
der nur noch teilweiser Dualismus herrscht.
Uneigentliche Elemente und ihre Verknüpfungssätze.
3. Es ist nur eine andere Ausdrucksweise, wenn wir von zwei
sich nicht schneidenden Geraden ©, § einer Ebene sagen, sie
schneiden sich in einem „uneigentlichen“ Punkte, definiert durch das
Geradenpaar (©, ). Ebenso werden wir uneigentliche Geraden und
Ebenen einführen. Die bisher betrachteten Punkte, Geraden und
Ebenen sind also „eigentliche“. Demnach besteht, wie man der Er
fahrung entnimmt, der folgende „Verknüpfungsgrundsatz der uneigent
lichen Elemente“:
4. Grundsatz: Durch jeden eigentlichen Punkt gehen nur eigent
liche Gerade und Ebenen. Dieser Grundsatz ist natürlich unabhängig
von allen früheren, da man ja ganz willkürlich in einer gegebenen
Geometrie bestimmte Elemente als uneigentliche bezeichnen kann.
Setzt man z. B. fest, daß in einer Koordinatengeometrie der Punkt
(> = (1000) und alle durch ihn gellenden Geraden und Ebenen, und
nur diese, „uneigentlich“ heißen sollen, so geht durch jeden andern
Punkt P eine uneigentliche Gerade [OPJ und ein Büschel von un
eigentlichen Ebenen. Diese Geometrie ist dual zur Euklidischen.
5. Die Berechtigung, von uneigentlichen Punkten, Geraden, Ebenen
zu sprechen, und zugleich die Zweckmäßigkeit dieser Ausdrucksweise
wird sich ergeben, wenn wir nachweisen, daß man mit uneigentlichen
Elementen genau wie mit eigentlichen alle Operationen des Ver
bindens und Schneidens ausführen kann, daß also im Gesamtgebiet
der eigentlichen und der uneigentlichen Elemente die Verknüpfungs
grundsätze der projektiven Geometrie unverändert gültig bleiben.
Diesen Nachweis führen wir im folgenden.
6. Satz: Ein eigentlicher Punkt P und ein uneigentlicher Punkt
Q — (©,*£)) haben genau eine Verbindungsgerade.
Beweis: Liegt P nicht in {©§}, so ist [ {P©} {P£>}| die
*) Affin nennt zuerst Euler (Introductio in analysin infinitorum. Tomus IT.
Lausanne 1748. Caput XVIII art. 442 p. 239) eine projektive Verwandtschaft,
bei welcher den unendlich fernen Punkten eben solche entsprechen. Die Ge
samtheit der Eigenschaften affiner Figuren betrachtet als besonderes Gebiet der
Geometrie zuerst Möbius (Der Baryzentrische Kalkül, Leipzig 1827, Kap. 3 =
Ges. Werke I p. 177ff., vgl. auch: Anhang zu „Beobachtungen auf der könig
lichen Universitäts-Sternwarte zu Leipzig usw.“, Leipzig 1823, p. 57 ff. = Möbius,
Ges. Werke I p. 389 ff.