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V. Metrische Geometrie.
wohnlichen reellen nncl imaginären Zahlen ist widerspruchlos und
vollständig, d. h. es kann jeder Satz in ihr rein rechnerisch bewiesen
werden und die richtige Anwendung der zu Grunde liegenden Sätze
führt dabei niemals auf eine unrichtige Zahlengleichung; denn das
Zahlensystem ist widerspruchlos und vollständig, weil es andernfalls
nicht existieren könnte.
120. Die Entdeckung der hyperbolischen*) Geometrie, d. h. der
jenigen Nicht-Euklidischen Geometrie, in welcher uneigentliche Ele
mente existieren, verdankt man bekanntlich J. Bolyai und Lobatschefsky,
welche dieselbe ungefähr gleichzeitig, unabhängig voneinander ge
funden haben. Gauß hat, wie aus seinem Nachlaß hervorgeht, schon
30 Jahre vorher ziemlich genaue Kenntnisse in derselben besessen.
Obwohl man in der Geometrie des Bündels eine ebene elliptische
Geometrie, d. h. eine Geometrie ohne uneigentliche Elemente kannte,
blieb die Möglichkeit einer Raumgeometrie derselben Art unbemerkt,
bis Riemann**) diese, wenn auch nur an einer Koordinaten-Geometrie,
also ohne Aufbau aus einem System von Grundsätzen und mit Be
nutzung der Stetigkeit und der Meßbarkeit nachwies.***)
Die Entbehrlichkeit der Meßbarkeit für ein großes Gebiet in der
Geometrie entdeckt zu haben ist das Verdienst Veroneses.f)
Verzichtet man auf die Meßbarkeit, so sind die drei möglichen
Geometrien mit Rücksicht auf 58, 66 nicht mehr nach der Menge
der uneigentlichen Punkte auf einer Geraden, sondern nur nach der
Dreiecks winkelsumme zu unterscheiden.
Flächeninhalt.
121. Die Lehre von den Flächeninhalten von Polygonen in der
Euklidischen Ebene ist zuerst von Hilbert ff) unabhängig von Stetig-
keits- oder Meßbarkeitsaxiomen lediglich auf die Theorie der Kon
gruenz gegründet worden. Hilbert legt die Definition zugrunde:
122. Definition: Zwei Polygone heißen inhaltgleich, wenn sie
*) Die Bezeichnungen hyperbolisch, elliptisch, parabolisch für die drei
möglichen Geometrieen wurden eingeführt von F. Klein, Gott. Nachr. 1871 Nr. 17
= Math. Ann. 4 (1871) p 573.
**) Über die Hypothesen, welche der Geometrié zugrunde liegen. Ha
bilitationsschrift, Göttingen 1854, Abhandlungen der Gött. Ges. d. Wiss. =
Biemanns Werke (Leipzig 1876) p. 254.
***) Über die Geschichte der Nicht-Euklidischen Geometrie vgl. insbeson
dere: Engel und Stäckel, Urkunden zur Geschichte der Nicht-Euklidischen
Geometrie I 2 (Leipzig 1899) p. 373 ff.
f) Grundzüge der Geometrie, deutsch von A. Schepp, Leipzig 1904.
ff) Hilbert, Grundlagen der Geometrie, Kap. IV.