Empirische Betrachtungen über das gradlinige Continumn der Anschauung. [§ 55
IV. Kapitel.
Von den Elementensystemen nnd insbesondre yob denjenigen
von einer Dimension.
1.
Empirische Betrachtungen über (las gradlinige Continumn der Anschauung. 1 )
§ 55. Was ist das Kontinuum? Es ist dies ein Wort, dessen Bedeutung
Jeder auch ohne irgend eine mathematische Definition kennt, da wir das Con-
tinuum in seiner einfachsten Form als das gemeinsame Merkmal vieler concreter
Dinge anschauen. Solche Dinge sind, um einige der einfachsten anzuführen,
z. B. die Zeit und der Ort, den in der äussern Umgebung der hier gezeichnete
Gegenstand oder ein mit einem Blei beschwerter. Faden einnimmt, wenn man
von seinen physischen Eigenschaften und seiner Dicke (im empirischen Sinn)
absieht. 2 ) Wollen wir die Eigentümlichkeiten dieses intuitiven Continuums
erfassen, so müssen wir uns nach einer abstracten Definition desselben umsehen,
in welcher die Anschauung oder die wahrnehmbare Darstellung nicht mehr als
notwendiger Bestandteil auftritt. Diese Definition muss vielmehr umgekehrt
dazu dienen können, andre Eigenschaften desselben intuitiven Continuums abstract
mit voller logischer Schärfe aus ihr herleiten zu können. Dass diese Definition
mathematisch abstract gegeben werden kann, werden wir später sehen. Wollen
wir auf der andern Seite, dass diese Definition nicht eine reine Formsache sei
und der obigen Anschauung entspreche, so muss sie offenbar aus der Unter
suchung derselben hervorgehen, auch wenn dann später die abstráete, mit
mathematisch möglichen Principien übereinstimmende, Definition dieses Con-
tinuum als einen besondern Fall enthalten sollte.
Der Gegenstand der Figur 1 heisst gradlinig. Unter
sucht man nun das Continuum, so sieht man, dass man es
als eine Zusammensetzung aus einer Reihe consecutiver iden
tischer Theile a, b, c, d, u. s. w., die von links nach rechts
angeordnet sind, erhalten kann, und dass dieses innerhalb
gewisser Grenzen der Beobachtung richtig ist. Die Theile
sind durch die auf den Gegenstand eingezeichneten Striche
getrennt und sind ebenfalls continuirlicli. Lässt man ferner
den Blick über den Gegenstand von links nach rechts hin
gleiten, so sieht man, dass die Theile a, b, c, d wie auch ab, bc, cd, u. s. w.
abc, bed, u. s. w. von links nach rechts identisch sind und dass diese Eigen-
thümlichkeiten auch von rechts nach links stattfinden.
1) Um die mathematischen Begriffe festzustellen, können wir sehr wohl auf empirisch
erworbene Kenntnisse zurückgreifen, ohne clesshalb später in den Definitionen selbst und
den Beweisen irgend welchen Gebrauch davon machen zu müssen.
2) Siehe emp. Bern, zu § 1, Theil I.
a b c d
A B O D E
Mg 1.
a X X' a'
Mg. 2, a.
a X a'
X'
Mg. 2, b.