Vorrede des Verfassers.
die concrete Wirklichkeit der von ihnen definirten Formen voraussetzen. Darin
unterscheidet sich die Geometrie von den Wissenschaften, die sich beständig
mit den Ereignissen der äusseren Welt beschäftigen und bei welchen, wie z. B.
bei der Physik, der einzige Zweck der Hypothese die Erklärung und Ver
knüpfung der Naturerscheinungen ist, wobei diese Hypothesen nicht immer
den Thatsachen zu entsprechen brauchen und auch geändert oder durch andre
ersetzt werden können. Unser allgemeiner Raum ist geometrisch möglich, er
hat desshalb eine abstracte Wirklichkeit, womit wir aber nicht meinen, die
äussere Welt sei an sich eine vollständige Darstellung dieses Raums. So haben
wir bei der Hypothese der verschiedenen gradlinigen Einheiten, welche eine
Folge unsrer Hypothesen über das thatsächliche Unendlichgrosse und Unend-
lichkleine oder mit andern Worten der Unabhängigkeit der Geometrie von dem
Axiom V des Archimedes ist, nicht nöthig an die concrete Wirklichkeit des
thatsächlich Unendlichgrossen und Unendlichkleinen zu glauben. Auch wenn
z. B. bewiesen würde, dass thatsächlich in der Wirklichkeit unser allgemeiner
Raum nicht existirt, so hätten wir desshalb geometrisch nicht nöthig auf diese
Hypothese zu verzichten. 1 ) Wenn wir z. B. die Figuren von vier Dimensionen
nicht so wie die von drei anschauen können, so bedeutet dies durchaus nicht,
dass die Hypothese über die vier Dimensionen in geometrischem Sinn den
Hypothesen und mithin den geometrischen Eigenschaften des Anschauungs
raums von. drei Dimensionen widerspricht. 2 )
Dagegen sind diejenigen Hypothesen des Gebiets, welches dem Gebiet
unsrer äusseren Anschauungen entspricht, auszuschliessen, die der Raum
anschauung widersprechen, wie z. B. die Hypothese, der Kreis sei keine ge
schlossene Linie oder habe reelle Asymptoten. 3 )
Hätte man genau festgestellt, wann eine Hypothese mathematisch oder
geometrisch möglich ist, so würden sich viele unnütze Streitigkeiten über die
Möglichkeit fast aller neuer Hypothesen, welche nach und nach das Besitzthum
der Wissenschaft bereichert haben, haben vermeiden lassen. Die reine Mathe
matik weist nur dasjenige zurück, was falsch ist; um daher eine mathematische
Hypothese zu bestreiten, muss man beweisen, dass sie falsch ist; der Beweis
muss aber logisch-mathematisch nicht philosophisch in dem strengen Sinn des
Worts sein und es muss aus ihm hervorgehen, dass die Hypothese nothwendiger
1) Wir, deren Fach die Geometrie ist, haben daher mit de*u Spiritisten und der Fähigkeit
der Media nichts gemein. Auch wenn uns angesehene Männer die Versicherung gehen,
gewisse spiritistische Erscheinungen fänden in der That statt, so möchten wir dies der
geheimnissvollen Art wegen, in welcher die Beobachtungen angestellt werden, bezweifeln.
So ist es z. B. mit den Knoten und dem Tisch, die Professor Zöllner (Wiss. Abh. Leipzig.
1870) beschreibt und so freundlich gewesen ist uns in Leipzig zu zeigen.
Wenn aber die Hypothese über die vierte Dimension oder den allgemeinen Raum
dazu dienen könnte in der Physik neues Licht über die Naturerscheinungen und ihre un
bekannten Ursachen zu verbreiten, dann wäre sie wissenschaftlich gerechtfertigt und der
Physiker würde in unserm Buch die geometrischen Grundeigenschaften finden, die er nöthig
2) Siehe später und den Anhang.
3) Siehe den Anhang.