Vorrede des Verfassers.
XIX
Die Unabhängigkeit der Axiome ist sicherlich von Nutzen; es ist aber
nicht zu verkennen, dass es sehr schwierig ist dieselbe zu beweisen. Wir haben
Axiome gegeben, welche einfache Eigenschaften (wie die Axiome IV und Y)
aber für alle Figuren, die sich in gegebenen Bedingungen befinden, ausdrücken,
während man die Frage aufwerfen kann, ob man diese Eigenschaften für alle
solche Figuren oder nur für einen Theil geben muss. In diesem Sinn weisen
wir nach, dass die Annahme genügt, eine Grade werde durch ein einziges Paar
1 hrer Punkte bestimmt. Man muss ferner prüfen, ob nicht dadurch, dass man
die Ordnung eines gegebenen Systems von Axiomen ändert, irgend ein Axiom
die Folge eines andern wird. 1 )
Welche Methode ist für die Geometrie und speciell für die Behandlung
ihrer Principien die geeignetste?
Nach Bedingung Y diejenige, welche aus dem Constructionsverfahren der
Raumanschauung hervorgeht, d. h. die reine oder synthetische geometrische
Methode. Und in der That, da die erste und wesentlichste Bedingung der
Geometrie die Raumanschauung ist, welche uns die ersten geometrischen Gegen
stände und ihre unbeweisbaren Eigenschaften liefert, so ist diejenige Methode
die geeignetste, welche stets die Figuren als Figuren behandelt, direct mit den
Elementen der Figuren arbeitet und sie derart trennt und vereinigt, dass jede
Wahrheit und jeder Schritt des Beweises möglichst von der Anschauung be
gleitet sind. Die Einfachheit und Eleganz der Geometrie bestehen grade in
der Leichtigkeit ihrer Constructionen. Die synthetische Methode macht dann
der Bedingung YI entsprechend der abstracten synthetischen Methode Platz,
wie in unserer Einleitung entwickelt wird.
Eine Methode, welche für das Studium der Fundamente einen Theil der
geometrischen Eigenschaften oder eine grosse Anzahl, von Theorien, welche
der Geometrie selbst nicht angehören, als bekannt voraussetzt, ist mindestens
künstlich und indirect und wird, wenn sie vielleicht auch dazu beitragen kann
die Genauigkeit eines Systems von Axiomen zu prüfen oder diese Axiome mit
andern Theorien in Yerbindung zu setzen, doch niemals zu einer besseren
Lösung der Frage dienen können. Eine solche Methode ist z. B. im Allgemeinen
die numerische oder analytische. Ein Beweis dafür ist, dass die tiefgedachten
Schriften berühmter Autoren über die Hypothesen der Geometrie, welche sich
dieser Methode bedienen, die eigentlich elementare Geometrie nicht viel vor
wärts gebracht haben und dass, während die moderne Geometrie in diesem
Jahrhundert einen so grossen Reichthum an neuen fruchtbaren Gesichtspunkten
erworben hat, jene erstere man kann sagen stationär geblieben ist und aus
enthalte das Euclid'sehe Postulat über die Parallelen. Sagt man, die ganze Ebene werde
auf diese Art erzeugt, so wird das System Lobatschewslcy’s, aber nicht das Biemann'sehe
ausgeschlossen; im andern Fall nicht einmal die Lobatsclieivslcy'sehe Ebene.
1) Dieser Fall tritt z. B. ein, wenn man von Anfang an die Stetigkeit der Graden
definirt, mit deren Hülfe sich nicht wenige Eigenschaften beweisen lassen, welche in den
Elementarbüchern als Axiome aufgestellt werden, während die Definition des Continuums
doch auch gebraucht wird (siehe z. B. de Baölis, Elementi di Geometria. Post. XI).
b*