636 Historisch-kritische Untersuchungen über die Principien der Geometrie.
dass man sie an jedem Ort (selbstverständlich in dem Kaum von drei Dimen
sionen) einander substituiren kann. J ) Die Gleichheit bezieht er auf den Flächen
inhalt oder das Volumen oder wie wir uns ausdrücken auf die intensive Grösse
und die Aehnlichkeit auf die Gestalt.
V. Giordano bemerkt dazu mit Recht, dass die Linie, welche die Ebene
in der erwähnten Art theilt, auch eine Curve sein kann. 1 2 )
Leibniz gibt eine Kritik der Definitionen und Axiome Euclid’s, versucht
aber vergeblich einige Axiome zu beweisen. Er glaubt z. B. das Postulat über
die Parallelen zu beweisen und bringt einige nicht durchweg genügende Be
weise von Proclus.
1
P. Saccheri, Professor an der Universität zu Pavia, hinterliess'uns 1733 ein
sehr wichtiges Buch über Versuche, welche er über diesen Gegenstand angestellt
hatte. 3 ) Durch Professor Beltrami wurde das Buch in weiteren Kreisen bekannt. 4 )
Saccheri betrachtet in der Ebene ein Viereck AB CI) mit zwei rechten Winkeln
bei A und B, dessen Winkel bei C und I) gleich sind und rechte, stumpfe oder
spitze Winkel sein können. Die aus diesen drei Fällen sich ergebenden Hypo
thesen nennt er die Hypothesen des rechten, stumpfen und spitzen Winkels
und beweist, dass, wenn eine der drei Hypothesen in einem einzigen Fall richtig
ist, sie für jeden andern Fall gilt (Prop. V, VI u. VH). Er beweist dann, dass
in dem rechtwinkligen Dreieck die Summe der beiden nicht rechten Winkel
ebensogross, kleiner oder grösser als ein Rechter ist, je nachdem die Hypo
these des rechten, spitzen oder stumpfen Winkels zu Grunde gelegt wird
(Prop. IX). Und ferner: Wenn in einem beliebigen Dreieck ABC die Summe
der Winkel ebensogross, kleiner oder grösser als zwei Rechte ist, so gelten
bezüglich die Hypothesen des rechten, spitzen und stumpfen Winkels (Prop. XY)
und dies gilt mithin nach Prop. IX für jedes Dreieck. Hier beweist offenbar
P. Saccheri das viel später von Legendre gegebene Theorem: Wenn in einem
Dreieck die Summe der Winkel zwei Rechte beträgt, so ist sie auch in jedem
andern Dreieck so gross.
Aus diesem kurzen Hinweis geht offenbar hervor, dass Saccheri die Theorie
der Parallelen in ihrer ganzen Allgemeinheit erkannt hat, während Legendre,
Löbatschewshy und G. Bolyai a priori ohne es zu wissen die Hypothese des
stumpfen AVinkels oder die Biemann sehe Hypothese ausgeschlossen haben.
P. Saccheri war jedoch ein Opfer des Vorurtheils seiner Zeit, welche nur die
1) A. a. 0. Bd. V, S. 172.
2) A. a. 0. Bd. I, S. 198. Vitale da Bitonto las Mathematik an der Universität zu Eom.
ln seinem Archimedes definirt er die Grade als: „eine Linie, deren Theile immer dieselbe
Lage wie zuerst behalten, wenn die Linie um ihre unbeweglichen Endpunkte gedreht wird“.
Er hält trotzdem die Definition Euclid's für vorzüglich, benutzt aber in seinem Euchde
restituto (Rom, 1686) eine Definition, nach welcher die Grade die kürzeste Linie zwischen
zwei Punkten ist, als leichter für die Fassungsgabe der Unerfahrenen.
3) Euclides ab omni naevo vindicatus etc. Mediolani 1733.
4) Un precursore italiano di Legendre e di Lohatscliewshy : Rend, dell’ Acc. dei Lincei, marzo,
1889. Neuerdings hat sich auch P. Mansion mit diesem wichtigen Buch beschäftigt (Annales
de la Société scientifique de Bruxelles, 1891).