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Historisch-kritische Untersuchungen über die Principien der Geometrie.
schieden sein. Soll z. B. der Cylinder die ganze Euclid’sehe Ebene darstellen,
so muss man ihn so betrachten als ob es unendlich viele nicht zusammen
fallende cylindrische Flächen wären, welche eine einzige Fläche bilden. Man
überzeugt sich davon, wenn man die Ebene in ebensoviele gleiche ebene Streifen
theilt und zuerst einen solchen Streifen und dann die übrigen um den Cylinder
biegt. Die Geometrie des einfachen Cylinders entspricht aber durchaus nicht
der Ebene und stimmt nicht mit den Ergebnissen der Erfahrung, insofern
man in einer beliebig kleinen Umgebung eines Punktes zwei geodätische Linien
construiren kann z. B. eine Erzeugende und eine Schraubenlinie derart, dass
sie in dieser Umgebung zwei Punkte gemein haben, während in dem Gebiet
unsrer Beobachtungen zwei Grade der Ebene zwei Punkte nicht gemein haben
können, ohne zusammenzufallen.
Die Unzulänglichkeit der constanten Krümmung für den gewöhnlichen
Raum oder den Raum von n Dimensionen tritt noch deutlicher bei unserem
allgemeinen Raum hervor. Denn in diesem Raum kann man den gegebenen
Raum nicht mit einer Mannigfaltigkeit derselben Krümmung von Punkten von
drei (oder n) Dimensionen vertauschen, weil durch zwei Punkte des allgemeinen
Raums höchstens eine geodätische Linie nämlich die Grade geht.
Wir haben dies hier angeführt, damit man nicht glaubt, dass die Formen,
welche die Ebene annimmt, wenn man sie auf verschiedene Art biegt, immer
als Euclid’sehe Ebenen betrachtet werden können, denen alle geometrische Eigen
schaften der durch die Erfahrung gegebenen Ebene zukommen Man kann
nur sagen, dass die metrische Geometrie immer dieselbe bleibt. Die Ebene
im allgemeinen Raum ist daher nur eine, obgleich es in ihm andre Flächen
von zwei Dimensionen von constanter Krümmung gleich Kuli gibt. Wir be
merken noch, dass diese Frage für den allgemeinen Raum nicht existirt, weil
er sich nicht biegen lässt insofern eine solche Operation eine weitere Dimen
sion erfordert.
Die Hypothesen Biemann’s bestätigen nicht nur diejenige Lobatschewsky’s,
sondern Biemann hat auch gezeigt, dass der Raum, auch wenn er unbegrenzt
ist, endlich sein kami. Dieses ist unsers Erachtens das wichtigste geometrische
Resultat der Abhandlung Biemann’s, obgleich man jetzt auf eine viel einfachere
Art zu demselben gelangen kann.
Der erste aber, welcher den mathematischen Begriff der Mannigfaltigkeiten
von n Dimensionen entwickelt hat, war H. Grassmann in seiner schon citirten
Ausdehnungslehre, welche zum ersten Mal 1844 veröffentlicht wurde. Die ver
wickelte und im Anfang oft unbestimmte Ausdrucksweise auch die neue sym
bolische Rechnungsweise, mit welcher er sich hauptsächlich beschäftigt, sind
daran schuld, dass einige tiefe Ideen, welche sich bei ihm finden, nicht hin
reichend anerkannt und später von Andern unter einer passenderen horm, die
sich wenigstens für die Entwicklung dieser Ideen besser eignete, eingeführt
worden sind. x ) Auch Grassmann beschäftigte sich in Etwas mit den Prin-
1) Siehe die Note I über die Definitionen von Raum und Geometrie von n Dimen
sionen.