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Historisch-kritische Untersuchungen über die Principien der Geometrie.
drei Dimensionen construiren können, deren scheinbarer Umfang in unserm
Kaum eine gewöhnliche Fläche zweiten Grades ist, so können wir auch in
dieser Umgebung ein System Löbatschewsky’s von drei Dimensionen construiren,
u. s. w. Die Möglichkeit der drei Hypothesen ist mithin experimentell be
wiesen.
Wir haben im Text Erklärungen gegeben, um den Leser von der logischen
Möglichkeit unsrer Hypothesen II, III, IV und V zu überzeugen; diese Möglich
keit beruht auf der Unabhängigkeit des unendlich grossen von dem endlichen
Gebiet in dem von uns verstandenen Sinn und geht offenbar aus der Einfach
heit dieser Hypothesen hervor. Durch die Möglichkeit dieser Hypothesen in
Verbindung mit unsern Axiomen I — V, zu welchen auch das Axiom über die
Parallelen gehört, wird auch die Unmöglichkeit das Euclid’sehe Postulat mit
rein logischen Gründen zu beweisen ausser Frage gestellt. 1 )
Die Arbeiten der nicht - Euclid’sdhen Geometrie haben eine sehr lebhafte
Polemik über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit das Eudid’sehe Postulat zu
beweisen veranlasst, wie nach der Ansicht Kant’s über die absolute Wahrheit
aller geometrischer Axiome als Formen a priori der Kaumanschauung zu er
warten war. Sicherlich kann die Discussion mit Philosophen, die in Dingen,
über welche absolut keine Gewissheit zu erreichen ist, behaupten so ist es statt
vielleicht ist es so, nur in leidenschaftlichen Streit ausarten, welcher zu keinem
Resultat führt. Von Interesse ist es, dass diejenigen, welche ihren Gegnern
den gesunden Menschenverstand absprechen, in der Regel Unrecht haben;
solche Streitigkeiten sollten zwischen wissenschaftlich gebildeten Männern nicht
möglich sein nicht nur ihrer Bildung wegen, sondern auch, weil sie durchaus
zwecklos sind. 1 2
1) Nach Bausenberger (die Elem. Geom. syst. u. kritisch behandelt. Leipzig, 1887
S. 54) ist es noch nicht ausgeschlossen, dass die nicht - Euclid’8che Geometrie nicht doch
logisch unmöglich sein könne; er ist der Ansicht, dass der Beweis der Unmöglichkeit das
Euclid'sehe Postulat nachzuweisen sich vielleicht nie geben lasse.
Lindemann (Vorlesungen ii. Geometrie v. Clebsch, 2. Bd. Leipzig, 1891, S. 552—563)
will beweisen, dass das obige Postulat keine logische Folge der übrigen Postulate Euclid's
sei und sagt zu diesem Zweck: Wenn die Riemann'sehe und Lobat s chew shy 'sehe Geometrie
zu einem Widersinn führte, so müsste dies auch für die in der Euclid'sehen Geometrie
existirenden Flächen von constanter positiver oder negativer Krümmung gelten, das Po
stulat "V Euclid’s wäre daher mit den andern Postulaten unvereinbar und mithin jede
geometrische Untersuchung im Allgemeinen unmöglich.
Wie Bausenberger nicht liecht hat, so können uns auch die Gründe Lindemanns
nicht überzeugen.
2) Unter den Mathematikern, welche diese Geometrie verwerfen, heben wir einige
berühmte Namen hervor. Vor Allen ist G. Bertrand zu nennen, der in den Comptes
Kendus von 1869 einen Beweis des Postulats über die Parallelen vertheidigt, welcher von
Garton geführt worden war und schon zwanzig Jahre vorher von dem Italiener Mina reih
in Bd. \ III der Nouvelles Annales von Ter quem veröffentlicht wurde. Bertrand charak-
terisirt eine solche Geometrie als debauche de logique. Der Beweis Minarellis gleicht,
wie Genocclii (Bulletin de l’Ac. de Belgique, Bd. XXXVI, S. 193) sagt, demjenigen Ivory’s;
seine Unhaltbarkeit wurde von Legendre nachgewiesen.
Bellavitis, der auch ein Gegner der nicht-Euclböschen Geometrie ist, bemerkt in der
XL Ri vista dell Istituto Veneto (1872) sehr richtig, dass man in den Principien der Geo
metrie von Definition zu Definition fortschreiten muss ohne irgend Etwas von der Geometrie
selbst zu verlangen. So glaubte Genocclii an einen möglichen Beweis des Euclid’sehen
Postulats trotz der Arbeiten von Riemann, Beltrami, Klein, Helmholtz und de Lilly
a. a. O.: Sur un Mém. de Davict de Foncenex et sur les géométries non Euclidiennes.