ß74 Historisch-kritische Untersuchungen über die Principien der Geometrie.
2) Was durch entgegengesetzte Constructionen erfolgt, ist wieder entgegen
gesetzt.
3) Was durch absolut gleiche Constructionen (wenn auch an verschiedenen
Orten und nach verschiedenen Anfangsrichtungen) erfolgt, ist wieder absolut
gleich.“
Die relative Beschränkung des Raums wird durch ein Axiom festgestellt,
welches lautet:
„Der Raum ist ein System dritter Stufe.“
Zur Erklärung dieser Axiome bezieht sich Grassmann, wie er selbst sagt,
auf das, Avas er früher in der Ausdehnungslehre festgestellt hat. Er fügt dann
hinzu:
„Dass dieselben ausreichen für die Geometrie, kann nur vollständig aus
einander gelegt werden durch Entfaltung der Geometrie selbst aus diesem Keim
heraus. ... Den Satz, dass zwischen zAvei Punkten nur eine grade Linie möglich
ist, oder, Avie ihn JEuclid ausdrückt, dass ZAvei grade Linien nicht einen Kaum
umschliessen können, hier als Grundsatz übergangen zu sehen mag auffalleu —
doch liegt derselbe in dem richtig aufgefassten ersten Grundsätze; nämlich sollten
ZAvei grade Linien, Avelche einen Punkt gemeinschaftlich haben, noch einen zweiten
Punkt gemeinschaftlich haben, so würde der Raum an diesem zAveiten Punkt
anders beschaffen sein, als in dem andern, Avenn die Linien nicht zugleich auch
alle andern Punkte gemeinschaftlich hätten, also ganz ineinander fielen.“
Offenbar ist dieser BeAveis nicht stichhaltig; auch um ZAvei Gegenpunkte
des sphärischen Systems zeigt der Raum das gleiche Verhalten und doch gehen
unendlich viele Grade durch diese Punkte. Der Autor selbst zAveifelt an seiner
Genauigkeit.
Wir wollen keine Bemerkung darüber machen, dass diese Axiome so ver-
Avickelte Begriffe enthalten; das Schlimmste ist jedenfalls, dass diese Begriffe
auf einfache Theile reducirt in den Prämissen der Ausdehnungslehre nicht streng
definirt sind. Er geht vor Allem von dem Begriff des Stetigen und des Dis-
creten aus und definirt sie in einer Form, die der Kritik Aveiten Spielraum lässt. 1 )
1) II. Grassmann (Ausdehmmgslehre 1844 oder 187S, S. 20 u. ff.) sagt: „Die reine Mathe
matik ist die AVissenschaft des besonderen Seins als eines durch das Denken Gewordenen“
und später: „Jedes durch das Denken GeAvordene kann auf zweifache AVeise geworden sein
entweder durch einen einfachen Act des Erzeugens oder durch einen zweifachen Act des
Setzens und Verknüpfetis. Das auf die erste AVeise Gewordene ist die stetige Form oder die
Grösse im engeren Sinn; das auf die letztere AVeise Gewordene die discrete oder Ver
knüpfungsform.“ Er setzt den Begriff des Stetigwerdens voraus, definirt ihn aber nicht. Er
sagt, der Act des Erzeugens könne als aus zwei Acten, dem des Setzens und des A^er-
knüpfens bestehend angesehen werden und das, was im Moment des Setzens gesetzt sei,
wäre schon mit dem, was geworden ist, verknüpft. Dies ist aber durchaus keine klare
Definition des Acts des Erzeugens. Auch angenommen dieser Act habe einen genau be
stimmten Sinn, wie z. B. der Act, zuerst ein Ding zu denken und dann ein andres Ding (aut
welchen wir den Begriff von Reihen gegründet haben), so muss man doch mit irgend Etwas
antangen, um irgend Etwas zu erzeugen. Nun ist dieses irgend Etwas, bei dem man an
fängt , entweder ein Theil des Stetigen oder nicht. Ist es dieser Tlieil nicht, so kann es
allein das Stetige nicht erzeugen, Aveil die Elemente ohne Theile der Graden die Grade
nicht bilden; es kann also zur Erzeugung des Stetigen nicht benutzt werden. Ist es aber
ein 1 heil des Stetigen, so ist es in jedem Zustand, in welchem wir es betrachten, selbst
ein Stetiges und man kommt auf eine petitio principii.