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AKADEMISCHE ANTRITTSREDE.
der Leitung meines hochverehrten Lehrers Gudermann, dem icli stets eine
dankbare Erinnerung bewahren werde, die erste Bekanntschaft mit derselben
machte, eine mächtige Anziehungskraft auf mich geübt, die auf den ganzen
Gang meiner mathematischen Ausbildung von bestimmendem Einflüsse ge
blieben ist. Die von Euler begründete und von Legendre mit Eifer und
Erfolg, aber in zu einseitiger Richtung weitergeförderte Disciplin hatte damals
seit etwa einem Decennium eine gänzliche Umgestaltung erfahren durch die
Einführung der von Abel und Jacobi entdeckten doppelt-periodischen
Functionen, in denen die Analysis eine neue, durch höchst merkwürdige
Eigenschaften ausgezeichnete Gattung von Grössen gewonnen, welche alsbald
auch auf dem Gebiete der Geometrie und Mechanik die vielfältigsten An
wendungen fanden, und auch dadurch den Bew r eis lieferten, dass sie die gesunde
Frucht einer naturgemässen Fortentwicklung der Wissenschaft seien. Nun
hatte aber Abel, der gewohnt war, überall den höchsten Standpunkt zu
nehmen, ein Theorem hingestellt, welches alle aus der Integration algebraischer
Differentiale entspringenden Transcendenten umfassend, für diese dieselbe Be
deutung hatte wie das Euler sehe für die elliptischen. In der Blüthe seines
Lebens dahingerafft, hatte er selbst seine grosse Entdeckung nicht verfolgen
können; es war aber Jacobi gelungen, eine nicht minder Mächtige daran zu
knüpfen, indem er die Existenz periodischer Functionen mehrerer Argu
mente nach wies, deren Fundamental-Eigenschaften in dem Abel’schen Theo
rem begründet sind, wodurch zugleich der wahre Sinn und das eigentliche
Wesen desselben aufgeschlossen wurden. Diese Grössen einer ganz neuen
Art, für welche die Analysis noch kein Beispiel hatte, wirklich darzustellen
und ihre Eigenschaften näher zu ergründen, ward von nun an eine der Haupt
aufgaben der Mathematik, an der auch ich mich zu versuchen entschlossen
war, sobald ich den Sinn und die Bedeutung derselben klar erkannt hatte.
Freilich wäre es thöricht gewesen, wenn ich an die Lösung eines solchen
Problems auch nur hätte denken wollen, ohne mich durch ein gründliches
Studium der vorhandenen Hülfsmittel und durch Beschäftigung mit minder
schweren Aufgaben dazu vorbereitet zu haben. So sind Jahre verflossen, ehe
ich an die eigentliche Arbeit gehen konnte, die ich, gehemmt durch die LTn-
gunst der Verhältnisse, auch seitdem nur langsam zu fördern vermocht habe.
Wenn ich aber gleichwohl so glücklich war, zu einigen Resultaten zu gelangen,
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