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darbietet; oder dessen, was Schlitz er mit Einem Worte „Staatsmerkwürdigkeiten“
nennt. Aber es hat zu dieser Definition sich sehr bald noch die Nebenbestimmung
hinzugefunden, dass die genannte Nachweisung wesentlich in Zahlen gegeben werden
soll, und so sehen wir denn in der That die heutigen Lehrbücher der Statistik der
Hauptsache nach aus einer Anhäufung von Tabellen bestehen, welche über die Bevölke
rung, die Industrie, den Ackerbau, den Handel etc. etc. eines Staates alles, was irgend
in Zahlen sich ausdrücken lässt, aufführen. In dieser Form gehört die Statistik den
socialen Wissenschaften an und wird namentlich wie eine wesentliche Hülfswissenschaft
der Nationalökonomie angesehen.
Vom Standpunkte der Naturwissenschaften muss nun aber erinnert werden, dass
eine Sammlung von Tabellen, deren Data der Erfahrung entnommen sind, noch keines
wegs den Anspruch erheben kann eine Wissenschaft im eigentlichen Sinne dieses Worts
zu sein. Diese Tabellen geben zunächst nur ein Material, aus welchem die Wissenschaft
erst noch aufzubauen ist; sie sind, im naturwissenschaftlichen Sinne, nichts weiter
als gesammelte Beobachtungen. Darin liegt aber von selbst schon die Forderung
dessen, was weiter geschehen soll, ausgesprochen. Das Ziel aller Naturforschung besteht
darin, von den Beobachtungen zu den Naturgesetzen aufzusteigen und diese
letzteren zur Erkenntniss zu bringen, und es ist mithin dieses diejenige Aufgabe, welche
auch im vorliegenden Falle der Wissenschaft anheimfällt. In dieser Dichtung hat die
bisherige Statistik — getreu ihrer Definition — beinahe nicht gethan, nämlich nur das
Wenige ausgehoben, was beim Anblicke der Zahlen unmittelbar in die Augen springt,
und demnach fängt mit der bewussten Stellung dieser Aufgabe ein wesentlich Neues an.
Sie hat da anzuknüpfen, wo die bisherige Statistik aufhört. Und da die Data dieser
neuen Wissenschaft wesentlich Zahlen sind, so muss die Mathematik dasjenige Hiilfs-
mittel sein, durch welches sie die Lösung ihrer Aufgabe zu Stande bringt. Die neue
Wissenschaft kann demnach durch die Benennung mathematische Statistik, oder
wie ein Mathematiker vielleicht lieber sagen wird analytische Statistik bezeichnet
werden, letzteres nach der Analogie von analytischer Optik, analytischer Mechanik u. a.
Eine Vergleichung mit bekannten Thatsachen wird das Gesagte noch deutlicher
machen. Der Astronom stellt Beobachtungen an und sammelt dieselben in der Form
von Tabellen; wollte er aber damit seine Thätigkeit als geschlossen ansehen, so hätte
die Astronomie niemals auf den Namen einer Naturwissenschaft Anspruch machen
dürfen, sie würde genau nur ein Seitenstück zu der bisherigen Statistik geblieben sein.
Dies war ungefähr der Standpunkt der Astronomie, als Tycho de Bralie seine später
so berühmt gewordenen Beobachtungen des Mars anstellte. Aber Kepler kam hinzu
und leitete aus diesen Beobachtungen seine bekannten Naturgesetze ab; er meisselte —
nach einer geistreichen Bemerkung Kästner’s — die Statue aus dem Marmorblocke,
welchen Tycho geliefert hatte. Dieser Uebergang von Tycho zu Kepler ist es,
welcher die Astronomie zu dem Range einer eigentlichen Naturwissenschaft emporgehoben
hat, die dann später durch Newton ihre theoretische Vollendung erhielt, und dies ist
genau derselbe Uebergang, welchen die Statistik noch vor sich hat. Man wolle dies aber
nicht so verstehen, als ob es für die Statistik jetzt nur eines Kepler bedürfe, damit
dieselbe den Naturwissenschaften sich anreihen könne. Es fehlt auch noch ein Tycho;
denn die Data der heutigen Statistik sind noch fast ohne Ausnahme von sehr zweifei-