Full text: Mathematische Statistik und deren Anwendung auf National-Ökonomie und Versicherungs-Wissenschaft

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Solcher Sterbliclikeitstafeln findet man in den statistischen Lehrbüchern eine grosse Zahl, 
obwohl immer von mehr oder weniger zweifelhaftem Werthe, zusammengestellt. Man 
hat auch schon verschiedene Versuche gemacht, die successiven Lebenden einer Sterb 
lichkeitstafel durch eine Function auszudrücken, welche das Lebensalter zur unabhängigen 
Veränderlichen hat; aber auch diese Versuche mussten verunglücken, so lange die Grund 
lagen der Untersuchung nicht diejenige Zuverlässigkeit besassen, Avelche oben mit Recht 
den Beobachtungen Tycho’s nachgerühmt werden konnte. Selbst die von Gompertz 
ausgedachte Function y = welche mehrere Bearbeiter gefunden hat und in ihren 
Anwendungen auf Integrallogarithmen und Gammafunctionen führt, bleibt so lange eine 
sehr zweifelhafte Hypothese, wie ein hinreichend sicheres Material zu ihrer Prüfung nicht 
vorhanden ist. 
Denn in der That, es ist keine Uebertreibung, wenn man behauptet, dass alle 
bisherigen Sterblichkeitstafeln ohne Ausnahme noch weit davon entfernt sind den 
wünschenswerthen Grad von Zuverlässigkeit zu besitzen. Dies hat theils seinen Grund 
in der Mangelhaftigkeit des zum Grunde liegenden Materials, theils in der Mangel 
haftigkeit der Methoden, welche zur Herstellung der Tafeln bis jetzt angewandt 
werden. Was das Erstere betrifft, so werden zur Zeit die Volkszählungen bei uns 
in einer so ungenügenden Weise ausgeführt, dass es nicht möglich ist mehr als rohe 
Approximativrechnungen darauf zu stützen; zum wenigsten gilt dies von den Zäh 
lungen innerhalb des Zollvereinsgebiets, während in Belgien und Frankreich, wo man 
sich’s allerdings auch mehr kosten lässt, die Sache besser zu stehen scheint. Wir haben 
über die Anforderungen, die man von Seiten der Wissenschaft an eine Volkszählung 
stellen muss, uns an einem andern Orte ausgesprochen und wiederholen dies hier nicht.*) 
Nur fügen wir hinzu, dass leider auch von Seiten des Publicums wenig Entgegenkommen 
stattfindet; so ist es z. B. eine bekannte Sache, dass Frauen durchgängig ihr Alter zu 
niedrig angeben, ja bei der letzten Volkszählung in Hannover sollen zwei Damen ent 
schieden sich geweigert haben ihr Alter anzugeben, so dass dem mit der Zählung Beauf 
tragten nichts übrig blieb als diese Damen zu schätzen. Unter solchen Umständen wird 
man vielleicht für immer auf vollkommen zuverlässige Volkszählungen verzichten müssen. 
Besseres Material geben die Versicherungs - Institute, welche auf die Dauer des mensch 
lichen Lebens gegründet sind, als: Lebensversicherungs-, Pensions- und Witwenversorgungs- 
Anstalten; nur haben bis jetzt äusserst wenige dieser Institute das Nöthige gethan, um 
das in ihren Büchern versteckte statistische Material hervorzuziehen und der wissenschaft 
lichen Benutzung zugängig zu machen, weshalb wir denn in der That viel weniger aus 
solchen Quellen stammende Sterblichkeitstafeln besitzen als man erwarten sollte. Auf 
diese Tafeln findet nun aber der zAveite der oben beregten Uebelstände Amvendung, 
nämlich dass Avegen Mangelhaftigkeit der Methoden, denen diese Tafeln ihr Dasein ver 
danken, die Tafeln selbst nur mangelhaft geblieben sind. Selbst diejenigen beiden 
Sterbliclikeitstafeln, Avelche gegemvärtig für die besten gelten und vielfach gebraucht 
werden, die Brune’sche aus den Erfahrungen der Allgemeinen Witwenverpflegungs- 
Anstalt in Berlin und die Tafel der 17 Englischen Gesellschaften, sind von diesem Vor 
*) S. d. Aufsatz: „Zur Bevölkerungs-Statistik“ in der Zeitschrift des Königlich Preussischen 
statistischen Bureau, 3. Jahrgang, 1. Heft.
	        
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