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Ankündig Ling.
Bei der Selbständigkeit und Unabhängigkeit, welche die Lehre vom
Lichte vor den übrigen Theilen der Physik charakterisirt, darf es uns
nicht befremden, dass sich auch bei ihr am Frühesten eine eigene Litte-
ratur gebildet hat; auffällig jedoch bleibt es, dass das letzte Decennium
trotz der immer wachsenden Bedeutung der Optik und der steigenden
Aufmerksamkeit, welche ihr von allen Seiten geschenkt wird, keine
Schrift erscheinen sah, welche jene reizende sublime Wissenschaft auch
weiteren Kreisen erschlösse. Die Furcht vor den so vei-schiedenartigen
Anforderungen, welche an ein vollständiges Lehrbuch dei Art würden
gemacht werden, die Ausdehnung, welche es bei der Masse des vorlie
genden Materials nothwendig erlangen würde, die fortwährenden Umwäl
zungen, welchen die höchsten Theile der Theorie ausgesetzt sind, mögen
wohl manchen Physiker der Gegenwart, dem Lust und Kräfte nicht fehl
ten, von dem verdienstlichen Unternehmen abgehalten haben, dem Pub
licum ein Lehrbuch der Optik zu liefern, das für die jetzige Zeit das
ist, was Herschel’s Treatise on light für seine Zeit war. Ganz anders
aber gestalten sich die Verhältnisse, wenn das Verlangen sich auf eine
Einleitung in die höhere Optik richtet, die unserer Ansicht nach derma
len von ungleich grösserem Nutzen sein wird und für manche Kreise
eine Nothwendigkeit geworden ist. Eine Einleitung darf sich nur über
diejenigen fundamentalen Theile der experimentellen und theoretischen
Optik ausbreiten, welche fest begründet, jeder Umwälzung entgehen und
ein für sich abgeschlossenes Ganzes bilden, von welchem der Schritt zu
den übrigen Theilen, die zur Zeit allermeist noch mehr oder minder
vereinzelt dastehen, nur mehr ein leichter ist, kurz, der Gegenstand der
Einleitung wird eine erschöpfende Behandlung der Gesetze der normalen
Lichtbewegung sein müssen. Eine solche Einleitung hat der Verfasser
in gegenwärtiger Schrift geliefert.
Der Verfasser hat, wie die Natur der Sache es verlangte, die ma
thematische Behandlungsweise durchweg in Anwendung gebracht. Ohne
sie wäre die höhere Optik dem formlosen und unscheinbaren Haufen
von Gläsern zu vergleichen, in den ein prächtiges Glasgemälde zusam
menfallen würde, wenn man es der Einfassungen beraubte. Gleichwohl
wird der Umstand, dass der Verfasser sich bestrebte, die für Nicht-Ma
thematiker erkältende Wirkung des Calcüles durch Appellation an die
Anschauung soviel als thunlich zu paralysiren, es möglich machen, dass
die grosse Anzahl derer, die, weder Physiker noch Mathematiker von
Fach, der Optik ihr Studium zuwenden, obige Schrift mit Nutzen als
Handbuch zu Rathe ziehen werden.
Für den Fall, dass sich die Erwartungen der Verlagshandlung über
die Aufnahme des gegenwärtigen Werkes bestätigen, wird sie den Ver
fasser für eine successive Bearbeitung der gesammten höheren Optik zu
gewinnen suchen und so ein vollständiges Lehrbuch derselben zu liefern
im Stande sein, welches selbst die neuesten Ergebnisse der Forschung in
sich aufnimmt. Augenblicklich befindet sich schon das Manuscript eines
Grundrisses der Photometrie in ihren Händen.
Braunschweig, im November 1852.
Friedrich Vieweg und Sohn.