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Subjective optische Erscheinungen.
Jedes Bild, was wir erblicken , nimmt auf der Netzhaut einen
bestimmten Platz ein, und es wird durch Anschauen begränzter hel
lerer und dunklerer Bilder solchergestalt möglich, partielle Herab
stimmungen und Steigerungen der Reizbarkeit der Netzhaut zu be
wirken, woraus sich der Erfolg nachstehender Versuche erklärt:
Man halte ein schwarzes Bild vor eine graue Fläche und sehe
unverwandt, indem es weggenommen wird, auf denselben Fleck; der
Raum, den es einnahm, erscheint in derselben Gestalt als das
Bild, aber um vieles heller als das übrige Grau. Man halte auf
eben die Art ein weißes Bild hin, und der Raum wird nachher
dunkler, als die übrige Fläche erscheinen. Man verwende das Auge
auf der Tafel hin und wieder, so werden in beiden Fällen die Bil
der sich gleichfalls hin- und herbewcgen; aus dem Grunde, weil
dann successiv verschiedne Stellen der Tafel vor den Fleck des Auges
kommen, dessen Sehvermögen modificirt worden ist.
Sehr bemerkenswerth ist der Umstand, daß ein dunkler Gegen
stand kleiner erscheint, als ein Heller von derselben Größe. Man
sehe zugleich eine weiße Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf
weißem Grunde, welche nach einerlei Zirkelschlag ausgeschnitten sind,
in einiger Entfernung an, und man wird die letztere etwa um ein
Fünftel kleiner, als die erste halten. Man mache das schwarze
Bild um so viel größer und sie werden gleich erscheinen Göthe
har dieß in seiner Farbenlehre schön durch Figuren erläutert.
Noch weit interessantere und ausfallendere Bestätigungen als
durch das Betrachten schwarzer und weißer Bilder erhält jedoch der
oben angeführte Satz durch das Betrachten farbiger Bilder.
Man lege ein kleines Stück lebhaft farbigen Papiers oder seide
nen Zeuges auf eine mäßig erleuchtete weiße Tafel oder weißes
Papier; schaue unverwandt eine Zeitlang auf die kleine farbige
Fläche, als wenn man jeden Punct davon dem Auge imprimiren
wollte; und hebe das gefärbte Papier alsdann hinweg, oder schaue
auch nur statt dessen auf einen andern Fleck des weißen Papiers.
Man wird jetzt hier ein andres Farbenbild, ganz von der Gestalt der
farbigen Fläche, erblicken; aber mit einer andern Farbe gefärbt,
und zwar, was vorzüglich bemerkenswerth ist: die Farbe dieses
subjectiven Bildes ist jederzeit die Ergänzungsfarbe
der vor her objectiv angeschauten Farbe. War also das
objective Farbenbild roth, so wird das danach erscheinende subjective
Farbenbild grün seyn oder umgekehrt; eben so correspondirt einem
blauen Arrbenbilde ein orangenes, einem violetten ein gelbes; und
mir veränderter Nuance des objectiv angeschauten Bildes ändert
* Hierauf beruht c», daß schwarze Kleider die Personen viel schmäler aus
sehen machen; daß ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, für
uns eine Scharte zu haben scheint, u. s. w.