Vorworl
Die Baukunst der neuern Zeit war bekanntlich bei uns, nachdem der vaterländische Spitzbogenstyl des Mittelalters theils durch
Künstelei und Überladung, theils durch äussere Einflüsse, dem Verfall zugeführt worden, auf kein feststehendes Grundprinzip mehr basirt,
sondern bestand nur in einer Nachahmung des eben in Italien oder besonders in Frankreich herrschenden Baugeschmackes, wobei unsere
Vorliebe für das Fremde selbst die Perioden der bizarren Verkröpfungs- und Schweifungsformen getreulich mit durchführte. Obwohl
nun dieses Verhältniss sich in der neuesten Zeit zu unserm Vortheil verändert und die Baukunst, mit wenigen Ausnahmen, einen mehr
selbstständigen und unabhängigen Bildungsgang bei uns angenommen hat, so ist doch dabei, wie dieses schon von mehren Seiten bemerkt
wurde, nicht zu verkennen, dass für die Sache selbst oder deren eigentlichen Lebensfrage: wie soll man jetzt bauen? so eigentlich noch
wenig entschieden oder geschehen ist. Denn nicht genug, dass man ‘alle drei Hauptzweige der Kunst, den griechischen, byzantinischen
und altdeutschen Styl, anzuwenden versucht, vermischt man diese am häufigsten nach Manier und Laune so miteinander, dass oft nur
zuviel der allgemeine Charakter der Zeit sich darin abspiegelt, nicht aber der des Gegenstandes an sich, so wie eine Harmonie
der Formen, zu ersehen ist. Dabei ist von einer mehr systematisch gehaltenen und konsequent durchgeführten Auffassung und Darstellung
der Kunst selbst, oder dem Bestreben, dieser eine unserm jetzigen Leben und Weben entsprechende zeitgemässe Richtung zu geben,
wodurch sich wieder ein mehr feststehender nationaler Styl für uns bilden könnte, noch wenig zu erkennen. Dass aber besonders unsere
jetzigen Mischlingsstyle einem solchen Ziele nicht näher führen, vielmehr das Bedürfniss des Besserwerdens nur um so dringlicher
herausstellen, dürfte keinem Zweifel unterliegen.
Da nun die Erreichung des Bessern, wie ich glaube, weniger in der Erfindung eines ganz neuen Baustyles, weil hierzu zunächst
erst die noch schwierigere Erfindung eines einfachen geometrischen Grundprinzips, wie dieses bei den bereits vorhandenen drei Bauarten
mit der wagerechten Linie, dem Halbkreise und dem gleichseitigen Dreiecke der Fall ist, nöthig wäre, zu erwarten ist, sondern vielmehr
in einer zeitgemässen Weiterbildung der bereits vorhandenen baulichen Grund-Formen zu suchen sein dürfte, so würde bei den jetzt hierüber
herrschenden verschiedenen Ansichten schon viel gewonnen sein, wenn sich zunächst das allgemeine Streben der Sachverständigen dahin
vereinigte, die drei vorhandenen Zweige in einer reinen Form darzustellen. Es würde dadurch, wie ich es bereits schon anderwärts
bemerkt habe ‘), die Sache nicht allein einfacher und übersichtlicher werden, mithin der gebildetere "Theil des Publikums seine für Zeit-
und Zweckentsprechung zu berücksichtigende Ansicht um so leichter abgeben können, sondern es würde sich vorzüglich auch herausstellen,
in wie weit der eine oder der andere dieser Baustyle jetzt unsern Bedürfnissen überhaupt ohne Beugung noch zu entsprechen vermag.
Was meine Ansicht in letzterer Hinsicht anlangt, so drängt sich mir, je länger ich mich mit dem Studium der Kunst beschäftige, um so
mehr die Überzeugung auf, dass ausnahmsweise nur in unserm vaterländischen Spitzbogenstyl die Elemente enthalten sind, die wieder ein
lebendiges, nationales Bauwesen”) für uns gewähren und bilden können. Zugleich kann ich dabei auch den gewöhnlich gegen diesen Styl
1) A. Anzeiger d. D., J. 1839, Nro. 219.
2) Ich verstehe jedoch hierunter nicht altdeutsche Gebilde, wie man solche in der neuesten Zeit häufig ausgeführt findet, und von welchen mir am
auffallendsten erst kürzlich in Nürnberg einige Wohngebäude zu Gesicht gekommen sind. In dergleichen Schnirkelwesen besteht gewiss nicht diese
Kunst, die vielmehr eben dadurch mit zum Falle gekommen ist. Dergleichen Freunde schaden überhaupt dem Aufblühen dieses Kunstzweiges mehr als
seine erklärtesten Gegner, Denn während Letztere, namentlich die Vertreter des griechischen Styles, schon seit Jahrhunderten noch keinen legalen
Beweis für ihre Ansicht haben geben können, unterdrücken KErstere theils dadurch, dass solches Verzierungswesen viele Kosten, sowohl in der
Ausführung als der Erhaltung erfordert, theils durch den Ungeschmack selbst, alle Freude und Lust zur Nachahmung und Ausbreitung dieses Styles.
Übrigens ist es auch bemerkenswerth, dass zu einer Zeit, wo so viel, gleichsam im Wetteifer, zur Unterstützung der Kunst, namentlich auch der
Baukunst, geschieht, gewissermassen in den Lehrstellen nur so nebenbei an unsern vaterländischen Styl gedacht, während dagegen im griechischen
oft schon über die Schwellung eines Gliedes bis in das kleinste Bruchtheil docirt und gemessen, und überhaupt das Wesen und das Heil der Kunst
mehr in malerischer und decorativer Auffassung und Darstellung gesucht wird, Leider nur, dass durch dergleichen Ansichten in Lehrstellen oft auf
längere Zeit hinaus zum Nachtheil der Kunst selbst eine Unfruchtbarkeit für's Leben entsteht, gegen welche auch die bereitwilligste Unterstützung dann
nichts mehr helfen kann,