Full text: Enthaltend: 12 Façaden zu städtischen Wohngebäuden (11. Heft)

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Die anliegenden Entwürfe sind der Anfang von 34 Facaden, die ich zur Anwendung bei städtischen Wohn- 
gebäuden bearbeitet habe. Zur nähern Verständigung meines eigentlichen Zweckes und Strebens, damit halte 
ich hier zunächst die folgenden Bemerkungen für nöthig. 
Die Baukunst soll nach den hierüber sich vielfach aussprechenden öffentlichen Stimmen schon seit län- 
gerer Zeit in keinem blühenden Zustande stehen. — 
Ihrem höhern Berufe nach soll dieselbe leitend und bildend auf das öffentliche Leben einwirken. Sie 
hat aber auch dabei den Bedürfnissen des Lebens und Webens der Zeit selbst mit zu entsprechen, wodurch sie 
gewissermassen von dieser mit abhängig wird. Bei einem solchen Verhältnisse kann es nun wohl kommen, 
dass dem Ersteren zu wenig gedacht und dem Letzteren zu viel eingeräumt wird, wie dieses in der "Chat 
bei der Baukunst jetzt der Fall ist. Sie gewährt ein ziemlich getreues Bild von unserm Leben und Wirken. 
Dieselbe Disharmonie, dasselbe Schwebende, dieselbe Hoffnung auf das Besserwerden, mit einem Worte, die- 
selbe Charakterlosigkeit, welche unstreitig der bezeichnetste Typus unserer Zeit ist. Von einem reinen für 
alle unsere Bedürfnisse ausgebildeten Styl, den man einen nationalen nennen könnte, ist wenig zu erkennen. 
Man baut nicht allein in allen Stylen und Manieren, welche die Baugeschichte giebt, sondern man wendet 
sogar mehrere derselben bei einem Bau zugleich an. — Die Ursachen dieses unerfreulichen Zustandes der 
Baukunst mögen hier unerörtert bleiben. Das Bessermachen ist auch bei diesem Gegenstand zunächst nöthig. 
Nach meiner Ansicht sind die Wege hierzu besonders in den architektonischen Bildungsanstalten und in den 
Stellen zu suchen, welchen ein amtlicher Wirkungskreis für die Bauausführungen anvertraut wird. Das eigent- 
liche Mittel in rein architektonischer Hinsicht ist aber jedenfalls nur in der Darstellung eines unserer Zeit 
und unsern Bedürfnissen entsprechenden reinen Baustyls zu finden. Ueber das Erstere habe ich mich 
in frühern Heften bereits näher ausgesprochen. In Hinsicht des Letztern, das auch die Frage umschliesst: 
welcher Baustyl ist für uns der geeignetste? bemerke ich noch. Wenn von den Bauarten, welche die Bau- 
geschichte bietet, nur diejenige hierbei in Betrachtung kommen könne, die ihre Formbildung auf ein syste- 
matisch durchgeführtes geometrisches Grundprinzip stützte, so dürften dann — da der ägyptische Styl 
schon vorweg, als nicht anwendbar zu nehmen ist — nur drei Stylarten bleiben, nämlich der geradlinigte 
mit wagerechtem Sturz (griechischer Styl); 2) der halbkreisbogigte (byzantinische, römische) und 
3) der spitzbogigte (sogenannte gothische). Von der Erfindung eines ganz neuen Styls sehe ich mei- 
nerseits ganz ab, da es mir zunächst nicht erreichbar erscheint eine einfachere geometrische Grundform zu 
finden, als es die gerade Linie, der halbe Kreisbogen und der auf das gleichseitige Dreieck gestützte Spitz- 
bogen giebt. Von diesen bemerkten drei Baustylen dürfe aber auch der halbkreisbogigte keine fernere Anwendung 
verdienen. Es gieht nämlich die bei diesem Style stattfindende Verbindung der Säule mit dem Bogen immer 
nur eine Verkrüppelung der im griechischen Style so meisterhaft durchgebildeten Säulenform. Es verbliebe 
sonach für uns nur die Wahl zwischen a) dem geradlinigten und b) dem Spitzbogenstyl. Es könnte daher 
die Frage wegen des für uns geeignetsten Styles auch mit andern Worten in: Säule, oder keine Säule? aus- 
gedrückt werden. Denn der Spitzbogenstyl hat in der Periode seiner Blüthe keine Säulen mehr. Wo, diese 
noch vorkommen, sind es Reste aus der Uebergangsperiode vom byzantinischen Styl. 
Was nun die fragliche Anwendung des griechischen Styles selbst betrifft, so wird zwar kein gesundes 
und unbefangenes Auge dessen grosse Schönheit und Einfachheit verkennen. Handelt es sich aber um eine 
Anwendung desselben für unsere jetzigen baulichen Bedürfnisse, so kömmt man mit all diesen schönen For- 
men und Verhältnissen, weil unser Leben ein so ganz anderes ist als das altgriechische war und daher auch 
ganz andere Bedingungen für den jetzigen Architekten aufstellt, gar zu oft in Verlegenheit. So bei unsern 
kirchlichen Gebäuden, wo selbst der Zweck des Gebäudes eher verhindert als unterstützt wird. Denn die 
griechische 'Tempelform, harmonisch durchgeführt, ist gewiss nicht geeignet, das Gemüth in eine Stimmung 
zu versetzen, die unsere jetzigen religiösen Begriffe erhöht. Günstiger stellt sich zwar dieser Styl für Ge- 
bäude dar, die mehr dem beschaulichen Vergnügen gewidmet sind. Doch muss auch hier gewöhnlich schon 
vorweg aus Rücksicht auf Akustik, Optik, Räumlichkeit auf die Anordnung der schönsten Parthie, der Säu- 
len, Verzicht geleistet werden. Ein gleiches Verhältniss findet auch bei dessen Anwendung zu unsern Wohn- 
gebäuden statt. Hier kömmt man besonders wegen der gewöhnlich dabei bedingten mehrfachen Etagen mit 
der bei dem griechischen Styl in seiner vollen Schönheit vorhandenen Einheitsform in Verlegenheit. Führt 
man, um dem Gebäude einen angemessenen Schluss zu geben, die Säulen oder Pilaster durch mehrere Etagen 
durch, so tritt dann eine Art Einschachtelung der einzelnen Etagen ein. Ordnet man dagegen für jede 
Etage eine besondere Säulenstellung an, so verstösst dieses nicht allein gegen das Grundprinzip des griechi- 
schen Styls, sondern das Gebäude erhält auch keine dem Ganzen entsprechende Krönung. Ich will hierbei 
nur an die Frontons, welche die Länge des Gebäudes erfordert und die geringe Höhe, die eine Etage dazu 
gewährt, erinnern. / 
Bei dem Spitzbogenstyl hingegen fallen alle die Anstände weg. Ausgebildet in einer Zeit die unserm 
jetzigen Leben und unsern Bedürfnissen ungleich ähnlicher als die griechische Zeitperiode war, hat beson- 
ders auch der damals im Bauwesen vorhandene praktische Sinn für uns Vieles vorgearbeitet. Bei einer An- 
wendung desselben kann es sich übrigens, wie einige Stimmen wollen, nicht um ein starres Festhalten an die 
alten Formen handeln , sondern es wird dabei, was schon die Kunst an sich bedingt, eine zeitgemässe Fort- 
bildung nöthig. Diese Letztere ist auch, wie ich glaube, ausnahmsweise und unbeschadet des Grund- 
prinzips bei dem Spitzbogenstyl zu erreichen. Ich habe in meinen bisher erschienenen Werken an den 
verschiedensten Baugegenständen versucht, diese Ansicht näher darzustellen. Auch die vorliegenden Entwürfe 
sind diesem Bestreben gewidmet und ich hoffe es durch die Bearbeitung der noch fehlenden Baugegenstände 
noch näher begründen zu können. 
- Zur Unterstützung dieser Ansicht könnte ich noch die Erfolge berühren, welche nach dem allgemeinen 
öffentlichen Urtheile durch die bisherigen Versuche mit den verschiedenen Stylen und Manieren erreicht wor- 
den sind. Die Sache mag jedoch hier auf sich beruhen. Ich komme vielleicht späterhin darauf zurück, Kr- 
wähnenswerth halte ich aber noch, dass es, nach so manchen Anzeigen, jetzt in München Tag zu werden 
anfängt; dass man den bisherigen verschiedenartigen Versuchen müde zu werden scheint und dem Spitzbo- 
genstyl sein verdientes Recht einräumen will. Und in der "That, König Ludwig könnte zu seinen vielen Ver- 
diensten um die Künste auch das noch hinzufügen, durch ein konsequentes Festhalten dieses Styles den 
Grundstein zu einer nationalen Baukunst gelegt zu haben. Möge man auch anderwärts, wo man noch so 
ganz in dem halbkreisförmigen Styl befangen ist, ebenfalls den Wink der Geschichte beachten, die lehrt, dass 
dieser Styl nur die roheren Materialien zu der geläuterten Masse des Spitzbogenstyls abgab. 
Im September 1847. E, K. 
*) Nach der französischen Ausgabe.
	        
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