Full text: Sonderdrucke, Sammelband

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Erste Gruppe der naturwissenschaftlichen Abtheilungen. 
über Versicherungswesen zu hören. Wenn es sich um die Stellung bei einer 
grossen Versicherungsgesellschaft handelt, so lohnt es sich ja wohl, zu dem 
etwas beschwerlichen Selbststudium Zuflucht zu nehmen; es tritt dabei nur die 
Schwierigkeit ein, dass man dieses Selbststudium bereits hinter sich haben muss, 
ehe man eine solche Stellung antreten kann. 
Schlimmer steht es bei den kleineren Gesellschaften, bei den vielen Sterbe- 
und Krankenkassen, die in den meisten Fällen einer sachverständigen Leitung 
ganz entbehren. Schon aus der willkürlichen Festsetzung der Beiträge und 
Sterbegelder bezw. Krankengelder kann man ersehen, dass weder bei der Ab 
fassung noch bei der Genehmigung der Statuten ein Sachverständiger mitge 
wirkt hat. Verderblich wird dabei in vielen Fällen der Umstand, dass solche 
Kassen in den ersten Jahren nach ihrer Begründung, wo die Sterblichkeit unter 
den Mitgliedern noch gering ist, scheinbar sehr gute Geschäfte machen, in 
dem zur Auszahlung der Sterbegelder die eingehenden Beiträge nicht verbraucht 
werden, so dass ein vermeintlicher Ueberschuss verbleibt. Die Sterbegelder 
werden in Folge dessen erhöht, und die Kasse wird dadurch der Insolvenz mit 
Sicherheit entgegengeführt. Der Ueberschuss ist nämlich nur ein vermeint 
licher, denn die angesammelten Kapitalien decken zumeist nicht einmal die 
für die Verbindlichkeiten der Kasse erforderliche „Prämienreserve“, so 
dass kein Ueberschuss, sondern ein Fehlbetrag vorhanden ist. Der Vor 
stand solcher Kassen kennt aber in den meisten Fällen den Begriff „ Prämien 
reserve“ überhaupt nicht. 
Das würde ganz anders werden, wenn die mathematischen Lehrer auf der 
Universität Vorlesungen über Versicherungswesen gehört hätten und ihre Kennt 
nisse derartigen Kassen zur Verfügung stellen wollten. 
3. Am dringendsten ist aber das Bedürfniss für die Einrichtung von mathe 
matischen Vorlesungen über Versicherungswesen bei den Juristen vorhanden, in 
deren Händen die Oberaufsicht über die Versicherungsgesellschaften liegt, und 
die als Eichter über Hunderte von Processen in Versicherungsangelegenheiten zu 
entscheiden haben. Wie ist es einem Juristen möglich, zu beurtheilen, ob die 
Prämienreserve richtig berechnet ist oder nicht, ob in die Bilanz einer Gesell 
schaft die zutreffenden Zahlen eingestellt sind oder nicht, ob die Gesellschaft 
überhaupt lebensfähig ist, wenn er nicht weiss, was Prämienreserve ist? Oder, 
wie kann ein Eichter darüber entscheiden, ob der Eückkaufswerth einer Ver 
sicherung zu hoch oder zu niedrig berechnet ist, wenn er keinen Einblick in 
diese Berechnung hat? 
Da nützen auch die besten sachverständigen Gutachten nichts. Mögen solche 
Gutachten auch noch so klar abgefasst sein, so kann sie doch in den meisten 
Fällen nur der verstehen, der bis zu einem gewissen Grade selbst Sachverstän 
diger ist. Es ist mir ein Beispiel bekannt, wo die Aufsichtsbehörde aus einem 
vortrefflichen Gutachten gerade das Gegentheil von dem herausgelesen hat, was 
der Verfasser des Gutachtens gemeint hat. Wenn die Zeit ausreichte, könnte 
ich Ihnen erzählen, wie eine der ältesten und angesehensten Gesellschaften an 
den Eand des Abgrundes gebracht worden ist, weil der Herr Staatscommissar 
„Plus“ und „Minus“ mit einander verwechselt hat. 
Diesem Nothstande könnte sehr leicht durch die Einrichtung einer kleinen 
Vorlesung über die mathematischen Berechnungen im Versicherungswesen abge 
holfen werden. Durch einen zweistündigen Vortrag während eines Semesters könnte 
in dieser Beziehung schon viel erreicht werden; die Juristen, welche diesem Vor 
trage folgten, würden sich mit derartigen Eechnungen wenigstens einigermaassen 
vertraut machen, und die Mathematiker hätten die Grundlage gewonnen, auf der sie 
dann ihre weitere Ausbildung im Versicherungswesen leicht selbst bewirken könnten.
	        
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