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L. Kiepert:
rial an Heinrich Schröter, Friedrich Schur und mich, damit wir
vor Beginn des Druckes eine sorgfältige Prüfung der Stein er sehen
Arbeiten vornehmen und ihm alle zweifelhaften Punkte vorlegen sollten.
Mich beauftragte er dann noch mit dem Lesen der zweiten Korrektur
des Ganzen.
Die in Aussicht genommenen Änderungen machten Rückfragen er
forderlich, auf die ich immer prompt Antwort erhielt, so daß mir
Weierstraß während des Druckes, d. h. in den Jahren 1879 bis 1882,
25 Briefe und 15 Postkarten geschrieben hat. Naturgemäß bezog sich
der Inhalt dieser Korrespondenz hauptsächlich auf den Druck der Stei-
nerschen Werke; daneben enthielten die Briefe von Weierstraß auch
Bemerkungen zu meinen Arbeiten über Transformation der elliptischen
Funktionen, über die Auflösung der Gleichungen fünften Grades und
über komplexe Multiplikation der elliptischen Funktionen, die ein Zeichen
seines lebhaften Interesses für diese Arbeiten kundgaben. Der Ton, in
dem alle diese Briefe geschrieben sind, ist ein so freundschaftlicher
und warmer, daß mich, als ich die Briefe jetzt wieder las, aufrichtige
Rührung ergriffen hat. In keinem Briefe fehlt ein herzlicher Gruß an
meine Frau, die er kennen gelernt hatte, als er mich 1876 mit seinen
beiden Schwestern in Freiburg besuchte.
Der Ruhm, den sich Weierstraß durch seine grundlegenden,
bahnbrechenden Forschungen erworben hat, würde noch viel weiter
verbreitet sein, wenn er alle seine Vorlesungen noch selbst veröffent
licht hätte. Das war mehrfach seine Absicht, wie auch aus seinen
Briefen an mich hervorgeht. Er wollte sogar seine gedruckte Aus
arbeitung den Vorlesungen als „Leitfaden“ zugrunde legen. Dann kam
aber gewöhnlich eine neue Entdeckung dazwischen, die ihn so in An
spruch nahm, daß die Drucklegung der Vorlesungen immer wieder auf
geschoben wurde. In den letzten 18 Jahren seines Lebens hinderte ihn
auch schwere Krankheit. Am 19. Februar 1897 endete dann der Tod
diese schweren Leiden. Um ihn trauerten seine zahlreichen Schüler
und Freunde und alle, die mit seinen Theorien bekannt geworden waren.
Sein Andenken wäre noch besser gewahrt worden, wenn wenigstens die
Vorlesung über die elliptischen Funktionen recht bald nach seinem Tode
herausgegeben worden wäre; aber nein, das geschah erst im Jahre 1915
Bis dahin blieb diese hochinteressante Theorie Privateigentum derjeni
gen Mathematiker, welche die Vorlesung bei Weierstraß gehört und
verstanden hatten.
Die im Jahre 1915 erfolgte Ausgabe ist mit großer Sorgfalt aus
geführt und geradezu mustergültig. Aber sie bringt nur die eine Form,
in welcher Weierstraß die Vorlesung gehalten hat; die andere Form,