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über einige neuere Vorschläge für mechanische
Projektionsrechner in photogrammetrischen Zweibild-
kartiergeräten
H. Schoeler
Einleitung
Wenn wir die in den letzten 15 Jahren bekanntgewordenen
Neukonstruktionen von Zweibildkartiergeräten betrachten,
so fällt auf, daß die größere Zahl von ihnen ein rein mechani
sches Projektionssystem benutzt. Bisweilen wird hieraus ge
folgert, daß dieses Prinzip den anderen — insbesondere dem
rein optischen Konstruktionsprinzip — überlegen sein müsse.
Wenn wir zwei Jahrzehnte zurückblicken, dann stellen wir
unschwer fest, daß damals das rein optische Projektionssystem
den Vorzug genoß. Versuchen wir den Widerspruch in diesen
Auffassungen zu finden. Zu einem wesentlichen Teil sind diese
unterschiedlichen Lösungswege natürlich von den technolo
gischen Möglichkeiten eines Herstellerbetriebes abhängig. Vor
allem in der ersten Periode des photogrammetrischen Geräte
baues dürfte dieser Faktor sehr entscheidend gewesen sein.
Solche Parallelen drängen sich aber auch bei den neuesten Ver
suchen der Schaffung eines Auswertegerätes mit „mathema
tischer Projektion“ auf. Für solche Entwicklungen sind spezielle
Erfahrungen in der Produktion programmgesteuerter Elektro
nenrechner unerläßlich.
Gehen wir doch aber einmal der Frage nach, ob sich in der
fraglichen Zeit nicht der technologische Vorgang der Karten
herstellung verändert hat. Vor 15 Jahren kannte man nur
den Begriff des großen Präzisionsauswertegerätes und den
des einfachen Doppelprojektors nach M. Gasser. Die Flug
disposition schwankte zwischen Schrägaufnahmen für klein
maßstäbliche Kartierungen und Konvergentaufnahmen für
Präzisionsvermessungen. In einer solchen Periode konnte
praktisch nur ein Großgerät mit rein optischer Projektion und
automatischem Vergrößerungsausgleich im Vordergrund ste
hen. In der Nachkriegszeit entstand der etwas zweifelhafte Be
griff der „Stereokartiergeräte II. Ordnung“. Diese traten
zwischen die bisher bekannten Typen und nahmen mit der
weiteren Technologisierung des Prozesses der Luftbildver
messung ständig an Bedeutung zu. Die routinemäßige'Anwen
dung der Luftbildvermessung verlangte nach Standardisierung
der Aufnahmetechnik. Das Senkrechtmeßbild verdrängte Meß
bilder anderer Anordnungen fast bis zur Bedeutungslosigkeit.
Dazu kam die Ausbildung verschiedener Aufnahmekammer
typen. Die Weitwinkelmeßkammer nahm ständig an Bedeu
tung zu. Die wesentlichste Eigenschaft des optischen Projek
tionssystems — der automatische Vergrößerungsausgleich
verlor in Anbetracht der ebenfalls zunehmenden Verbesserung
des Fluggerätes seine Attraktivität. Wichtiger erschien für
diesen neuen Gerätetyp wohl der schnelle Übergang auf andere
Auswertekonstanten. Die mögliche Einschränkung der Nadir
distanz auf Winkel bis zu + 5 g führte so zwangsläufig zu der
stärkeren Betonung des mechanischen Konstruktionsprin
zips im photogrammetrischen Gerätebau, nachdem die Frage
der Genauigkeit, Justierhaltigkeit u. a. befriedigend gelöst
werden konnten. Das heute aufwendigere rein optische Kon
struktionsprinzip findet daher im wesentlichen dort seine An
wendung und Berechtigung, wo gelegentlich mit Abweichungen
von der vorherrschenden Aufnahmedisposition für Senkrecht
meßbilder gerechnet werden muß.
Neue Forderungen an den photogrammetrischen Gerätebau
Die Leistungsfähigkeit der mit konventionellen Projektions-
systemen ausgerüsteten Zweibildkartiergeräte des optischen,
mechanischen oder optisch-mechanischen Typs erreicht heute
mit Sicherheit Meßgenauigkeiten, die reduziert auf die Meß
bildebene um 10 ¡um* betragen. Mit geringen Ausnahmen
arbeiten die mechanischen Projektionssysteme, auf die wir
uns im nachfolgenden allein beschränken wollen, mit ßaum-
lenkern, die bei der Auswertung das Aufnahmestrahlenbündel
kongruent materialisieren. Bild 1 zeigt diese bekannte An
ordnung.
Die ständige Erweiterung, Verbreitung und Vervollkommnung
der photogrammetrischen Aufnahmetechnik meldet jetzt
bereits neue Forderungen für die Konzeption und Gestaltung
von Zweibildkartiergeräten an.
Die erste Forderung kommt nur indirekt aus Benutzerkreisen.
Der Wunsch nach Vereinfachung und erhöhter Justierhaltig
keit der optischen Betrachtungssysteme führt zu dem Ver
such der horizontalen Anordnung der Meßbilder in einem vom
Stereokomparator her bekannten Aufbau. Für die Auswerte
geräte terrestrischer Meßbilder ließ sich mit dem Stereoauto
graph bereits eine solche Anordnung der Meßbilder erreichen.
Die näherungsweise parallelen und immer horizontalen Auf
nahmerichtungen der Meßbilder kamen natürlich diesem
Wunsch sehr entgegen; sehr viel schwieriger lösen läßt sich
diese Aufgabe für die zueinander windschiefen Aufnahme
richtungen der Luftmeßbilder.
Die zweite Forderung betrifft die Auswertung extremer Bild
winkel bis zu 165 ? . Wenn bestimmte vorgeschriebene Auf
nahmedispositionen mit hoher Genauigkeit eingehalten werden,
so kann — wie dies in [1] gezeigt wird — bei Anwendung der
Affinauswertetechnik eine solche Forderung mit den bekannten
Auswertemaschinen schon jetzt erfüllt werden. In der Aero-
photogrammetrie sind jedoch solche Voraussetzungen nicht
vorhanden. Die sowjetischen Geräte SPR-2 (vgl. hierzu [2])
und SD (vgl. hierzu [3]) verfolgen zwar diesen Weg durch
Verwendung mechanischer Entzerrungsrechner, müssen aber
diese Lösung mit unangenehmen zusätzlichen Orientierungs
elementen erkaufen.
Die dritte Forderung betrifft endlich die Auswertegenauigkeit.
Der gegenwärtige Entwicklungsstand der Optik und Film
technik sowie die ständig verbesserten Bildflugbedingungen
lassen für die Zukunft eine bedeutende Steigerung der geo
metrischen Genauigkeit fotografischer Meßbilder erwarten.
Man rechnet heute schon bei Stereokomparatoren mit einer
Meßgenauigkeit von wenigen Mikrometern. Es ist also* wün
schenswert, die heute mit den klassischen Zweibildkartier
geräten erreichbare Auswertegenauigkeit mindestens zu ver
doppeln. Diesem Ziel gelten offenbar die gegenwärtigen An
strengungen des photogrammetrischen Gerätebaues bei der
Schaffung von Zweibildkartiergeräten mit „mathematischer
Projektion“. Diese Entwicklung geht darauf aus, die räum
lichen Projektionssysteme der klassischen Geräte durch Ana
* jum = Mikrometer (veraltete Bezeichnung: ¡i — Mikron)