Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 2. Band)

System der Pflanzenphysiologie. 
1. Stoffwechselprozesse machen'sich nicht allein in den chlorophyllführenden, 
sondern überhaupt in allen lebenden Pflanzenzellen geltend. 
2. Stoffwechselprozesse finden in den Pflanzenzellen bei Abschluss sowie 
bei Zutritt des Lichtes statt. 
3. Waührend der Assimilationsprozess stets zu einer Sauerstoffabscheidung 
führt, sind nur vereinzelte Stoffwechselprozesse im Stande, die nämliche Er- 
scheinung herbeizuführen. Es scheint mir festzustehen, wie ich im vierten Kapitel 
dieses Abschnittes zeigen werde, dass in den Pflanzenzellen unter Umstánden 
Pflanzensáuren zu Kohlehydraten reducirt werden kónnen, und dass derartige 
Prozesse, die allein unter Mitwirkung des Lichtes in chlorophyllhaltigen Zellen zu 
Stande kommen, mit Sauerstoffabscheidung verbunden sind. Da das Wesen der 
Assimilation nun in einer Bildung organischer Verbindungen aus anorganischem 
Material besteht, die erwähnten Säuren aber zu den organischen Körpern gehören, 
so sind die hier in Rede stehenden Reductionsprozesse als Stoffwechselvorgänge 
anzusehen. Neben organischen Körpern werden in Folge vieler Stoffwechsel- 
prozesse Wasser und Kohlensäure erzeugt. Zuweilen treten auch noch andere 
Gase als Stoffwechselprodukte auf, während bestimmte Stoffwechselprozesse über- 
haupt nicht zur Bildung gasförmiger Körper führen. 
4. Wenn grüne Pflanzen dem Einflusse des Lichtes entzogen werden und in 
Folge dessen nicht assimiliren können, so erleidet ihr Trockengewicht eine fort- 
dauernde Verminderung. Die Stoffwechselprozesse führen unter Kohlensäure- 
sowie Wasserbildung zu einer Zerstörung vorhandener organischer Verbindungen, 
aber trotzdem diese Vorgänge sich unter allen Umständen in den Pflanzenzellen 
geltend machen, tritt der Erfolg, den sie herbeiführen, dennoch allein bei Ab- 
wesenheit des Lichts deutlich hervor, da die Verluste bei Lichtzutritt durch das 
Stattfinden der Assimilation mehr als gedeckt werden können. Uebrigens sei 
bemerkt, dass, wenngleich der Stoffwechsel im Ganzen und Grossen zu einer 
Verminderung des Trockengewichtes der Pflanzen führt, dennoch einige Stoft- 
wechselprozesse existiren, welche eine Steigerung des "Trockensubstanzgehaltes 
bestimmter Pflanzenzellen bedingen. 
5: Im Allgemeinen muss der Stoffwechsel in den Pflanzen zu einer Aus- 
lösung der in der organischen Substanz aufgespeicherten potentiellen Energie 
und Freiwerdung actueller Energie (Würme, Licht, mechanische Arbeit) führen. 
Sehr deutlich tritt dieser Vorgang der Auslósung von Kräften bei der durch den 
freien atmosphärischen Sauerstoff vermittelten und mit Kohlensáure- sowie 
Wasserbildung verbundenen langsamen Verbrennung (Verathmung) organischer 
Stoffe in den lebenden Pflanzenzellen hervor. Ebenso wird bei der Bildung der 
Proteinstoffe aus Kohlehydraten und stickstoffhaltigen anorganischen Verbindungen 
eine gewisse Kraftsumme ausgelóst, und dieser Umstand, insbesondere aber der 
weitere, dass die Entstehung der Eiweisskórper nur unter Beihülfe organischer 
Substanzen erfolgen kann, lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die 
Vorgänge bei der Proteinstoffbildung als Stoffwechselprozesse gedeutet werden 
müssen. In Folge einiger Stoffwechselvorgünge geht übrigens actuelle Energie 
in potentielle Energie über. 
S 51. Das Wesen des Lebensprozesses. — Für die Naturwissenschaft 
ist die Erkenntniss von der weittragendsten Bedeutung geworden, dass sich die 
eigentlichen Lebensprozesse der Organismen in dem Protoplasma der Zellen ab- 
wickeln. Solche Zellen, die kein Plasma mehr führen, kónnen daher keineswegs 
noch als lebende Gebilde angesehen werden. Man hat sich vielfach bemüht, 
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
  
  
   
  
  
   
  
  
  
   
   
  
  
  
  
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