132 System der Pflanzenphysiologie.
der absorbirten Sauerstoffmenge gleich ist; es macht sich in allen Pflanzenzellen
unter den bezeichneten Verhältnissen ein Prozess geltend, den man als normale
Athmung bezeichnet. Da diese normale Athmung mit einer Kohlensäure- und
Wasserbildung auf Kosten organischer Substanz der Pflanzenzellen verbunden ist,
so. leuchtet von selbst ein, dass der in Rede stehende Vorgang mit einer Ver-
minderung des Trockensubstanzgehaltes der Pflanzentheile verbunden sein muss,
und in der That lässt sich auf experimentellem Wege leicht feststellen, dass
athmende Pflanzentheile (wenn das Stattfinden des Assimilationsprozesses aus-
geschlossen wird) fortschreitend ärmer an Trockensubstanz werden.
Der erste Forscher, welcher sich eingehender mit der normalen Athmung
der Pflanzen beschäftigte, ist INGENHOUSZ!) gewesen?). Später veröffentlichte dann
SAUSSURE?) die Resultate seiner klassischen Untersuchungen über die Respirations-
vorgünge im Organismus der Gewüchse. Auf die Arbeiten der genannten Forscher
sowie DuTrROCHET's und anderer Beobachter über Pflanzenathmung komme ich
im Verlaufe meiner Darstellung noch zurück; es sei an dieser Stelle nur noch
erwähnt, dass KÜHNE?) im Jahre 1864 die Unentbehrlichkeit des Sauerstoffs für
das Zustandekommen der Protoplasmabewegung nachwies. Nach diesen allge-
meinen Bemerkungen will ich die Vorgänge der normalen Athmung der Gewächse
etwas spezieller beleuchten.
b) Die Keimpflanzen. Die Samen sind nur im Stande zu keimen, wenn
denselben gewisse Quantitäten freien Sauerstoffs zur Disposition stehen?) In
sauerstofffreien Medien kann das Wachsthum der höheren Pflanzen nicht zur
Geltung kommen, und die Evolution des Embryo ist daher unmöglich. Von
der Thatsächlichkeit der Sauerstoffabsorption bei der Keimung kann man
sich leicht überzeugen, wenn man das Untersuchungsmaterial (gequollene Samen
oder Keimpflanzen) mit einer beschränkten Luftmenge über Quecksilbér in
Berührung bringt. Es zeigt sich dann, dass der Sauerstoff der Luft mehr und
mehr verschwindet, während dafür Kohlensäure, wie leicht zu constatiren ist,
producirt wird. Das Volumen der erzeugten Kohlensäure ist, wenn man mit
amylumreichen Samen experimentirt, dem Volumen der absorbirten Sauerstoff-
menge nahezu gleich, während fettreiche Samen aus Gründen, die im folgenden
Paragraphen berührt werden sollen, ein viel beträchtlicheres Sauerstoffvolumen
aufnehmen®). Bei normaler Entwicklung des Embryo wird allein Kohlensäure
als gasförmiges Athmungsprodukt erzeugt; andere Gase (etwa Wasserstoff oder
Kohlenoxyd etc.) entstehen nicht.
c) Die Pilze. Ich habe häufig beobachtet, dass Pilze nicht unerhebliche
1) Vergl. INGENHOUSZ, Versuche mit Pflanzen. 1786—1788.
2) Uebrigens will ich hier bemerken, was wenig bekannt zu sein Scheint, dass bereits MAYOW
etwa 100 Jahre vor INGENHOUSZ mit der Thatsache der Unentbehrlichkeit der Luft fiir das
Gedeihen der hóheren Gewüchse vertraut war. Vergl. Jenaische Zeitschrift für Medicin und
Naturwissenschaft. B. 4. pag. I4I.
3) Vergl. SAussURE, Chem. Untersuchungen über die Vegetation. Deutsch. v. VotGT. 1805.
pag. I u. 54.
4) Vergl. KÜHNE, Untersuchungen über das Protoplasma. 1864. pag. 88.
5) Es ist hüufig die Ansicht ausgesprochen worden, dass keimende Samen auch im Stande
seien, den Sauerstoff des Stickstoffoxyduls für die Zwecke der Athmung zu verwerthen. Meiner
Meinung nach reichen die bekannten Thatsachen zur Begründung einer derartigen Anschauung
noch nicht hin. "Vergl übrigens meine Keimungsphysiologie, pag. 220.
8) Vergl namentlich SAussuRE, FRORIEP's Notizen. 1842. B. 24. No. 16. pag. 243.
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