558 Die physiologischen Leistungen der Pflanzengewebe.
wurzel- und laubblattihnlichen Organen den allgemeinen Habitus einer hoch-
differenzirten, vielzelligen Pflanze nachahmt. Bei nicht cellulirem Bau ist aber
die Herstellung der vor Allem erforderlichen Festigkeit des Organismus mit zu
grossen Schwierigkeiten verknüpft. Die in der Cawlerpa zahlreich ausgespannten
Cellulosefiden?) sind zwar eine ganz wirksame Versteifungseinrichtung, allein
einer Landpflanze wäre damit nur wenig gedient. Dieselbe bedarf der wirksameren
Aussteifung mittelst ganzer Cellulose wandungen, welche sich nach verschiede-
nen Richtungen schneiden und derart eine fácherige, d. i. zelhge Structur
der Pflanze bedingen. Den einfachsten Fall représentirt uns in dieser Hinsicht
ein beliebiger Algen- oder Pilzfaden, dessen Querwände augenscheinlich den Zweck
haben, in gewissen Abständen als Aussteifungsplatten zu fungiren, durch welche
die dünne, zarte Celluloseröhre vor dem Einknicken bewahrt wird. Diese Quer-
wände fächern die ganze Röhre, sie zertheilen das gesammte Plasma in ebenso
viele Portionen als Fächer gebildet wurden und damit ist die Röhre zu einem
Zellfaden geworden.
Die soeben angeführte Zerklüftung oder Zertheilung des Gesammtplasmas
der Pflanze in einzelne kleine Portionen, welche nun zu selbstständigen Plasma-
Individuen werden, ist für das Princip der Arbeitstheilung und die damit zusammen-
hüngende morphclogische Differenzirung des Organismus von grosster Tragweite.
Es sind damit unzühlige kleine Arbeiter, es sind Elementarorganismen gewonnen,
welchen mit viel grósserer Leichtigkeit verschiedenartige Aufgaben zugewiesen
werden kónnen, als einem einzigen, unzertheilten, grossen Plasmakórper. Damit
geht Hand in Hand eine leichtere, raschere und ausgiebigere Differenzirung des
inneren und äusseren Baues der Pflanze. .So bildet die zellige Structur des
Pflanzenleibes eine der nothwendigsten Voraussetzungen für eine
durchgreifende Arbeitstheilung und ihre morphologischen Conse-
quenzen. Dieser mit einem zelligen Aufbau verbundene Vortheil verliert nicht
im Geringsten an seiner grossen Bedeutung, wenn er auch von der Natur nicht
direkt angestrebt wurde, wenn er sich vielmehr gewissermassen als blosser Neben-
gewinn einstellte, indem durch die Wandbildung und Fücherung im Innern der
Pflanze zunächst eine mechanische Aussteifung bezweckt wurde, um grössere
Pflanzenformen zu ermóglichen.?) — Uebrigens haben wir mit diesen Auseinander-
setzungen bereits ein Gebiet betreten, auf welchem gegenwürtig noch die Hypothese
herrscht. Die Frage nach den Ursachen und Vortheilen der zelligen Structur
des Pflanzenkórpers liess sich aber in der Einleitung dieser Abhandlung, welche
die physiologischen Aufgaben der Gewebe zum Gegenstande hat, nicht ganz bei
Seite schieben. —
Il. Die anatomisch-physiologische Betrachtungsweise der Gewebe.
Unter einer Gewebeform oder Gewebeart versteht man im Allgemeinen
eine Verbindung von Zellen, welche ein oder mehrere bestimmte Merkmale ge-
meinsam haben. Diese Merkmale kónnen entwicklungsgeschichtlicher, topo-
graphischer, morphologischer oder physiologischer Natur sein. So kann man
z. B. Alles, was aus der äussersten Zellschicht des jugendlichen Pflanzentheiles,
dem Dermatogen HANSTEINS hervorgeht, als eine bestimmte Gewebeart zusammen-
1) Vergl. SCHWENDENER, Das mechanische Princip etc. pag. 168.
? Sacus, Ueber die Anordnung der Zellen in jüngsten Pflanzentheilen, Arbeiten des botan.
Institutes in Würzburg. Bd. IL Heft L. pag. 90; ferner SCHWENDENER, Mechanisches Princip,
pag. 167 u. 168.
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