112 Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane.
B. matricariafolium dagegen entwickeln sie sich bekanntlich. Man findet die
mannigfaltigsten Mittelformen von Blattfiedern, die in ihrem unteren Theile noch
halb vegetativ, oben als Sporophylle ausgebildet sind (z. B. Fig. 1, B) bis zu
solchen, die ganz fertil sind. Ich habe Exemplare gesehen, bei welchen
die beiden untersten Fiederblüttchen des sterilen Blattes vollständig zu
Sporophyllen mit wohl ausgebildeten Sporangien geworden waren und Ror-
PERI) hat einen Fall beschrieben, wo der ganze sterile Blattheil fertil ge-
worden war, Sporangien trug und in seiner Ausbildung vollständig mit einem
gewóhnlichen Sporophyll übereinstimmte. Man wird nicht behaupten wollen,
der sterile Blattheil sei hier durch einen fertilen »ersetzt«, sondern wird zugeben
müssen, dass hier eine wirkliche Umbildung eines Laubblattes zu einem charak-
teristisch gestalteten, von einem Laubblatt auffallend abweichenden Sporophyll
eingetreten ist? Die Ursache dieser Umbildung liegt offenbar im Auftreten
der Sporangien. Der Schluss ist ebenso naheliegend ais berechügt, dass dies
auch beim normalen (d.h. gewóhnlichen) Sporophyll der Fall 1st, d. h. dass auch
dieses hervorgeht aus einem Laubblatttheil, der sich zum Laubblatt umbilden
würde, wenn nicht das Auftreten der Sporangien das verhinderte und die Stoffe,
in Anspruch nühme, die sonst zur Bildung des Blattparenchyms verwendet worden
wären. Damit ist also eine reale Umbildung postulirt und die Wesensgleichheit
von sterilem und fertilem Blatte nicht in die Entwicklungsgleichheit, sondern darin
gesetzt, dass sie beide Laubblattanlagen sind. Fällt die Sporangienbildung weg,
so muss sich das Sporophyll zum Laubblatte ausbilden. Das geschieht auch,
wenngleich sehr selten. Man findet dann genau an der Stelle, wo das Sporo-
phyll entspringt, ein gewóhnliches, dem andern sterilen Blatttheil gleichgestaltetes
Laubblatt entspringen. Es ist das kein Rückschlag?) ein solcher wire es allen-
falls, wenn auf einem mit dem Laubblatte übereinstimmenden Blatte Sporangien
süssen — obwohl ich die Nóthigung zu einer solchen Vorstellung nicht einsehe.
Wir kommen bei der Blattentwicklung noch einmal auf diesen Punkt zurück.
Hier sei nur hervorgehoben, dass was für die Sporophylle der Farne gilt, auch
für die der Samenpflanzen (z. B. Staublütter und Fruchtblátter) anwendbar sein
wird. Auch diese sind Sporophylle und unterscheiden sich von einem Laubblatt
1) ROEPER, Zur Systematik und Naturgeschichte der Ophioglosseae, Botan. Zeitung 1859.
pag. 261.
?) Man wende nicht ein, das sei eine »Missbildung,« und das Heranziehen derselben stehe
im Widerspruch zu dem unten über die Berechtigung der Benützung von Missbildungen in mor-
phologischen Schlüssen Gesagten. Die betreffende Erscheinung zeigt vielmehr nur, dass das
Auftreten von Sporangien bei Botyrchium nicht auf einen Blatttheil lokalisirt ist, ebenso wie dies
bei Osmunda regalis der Fall ist. Gewöhnlich ist hier noch ein beträchtlicher, unterer Theil des
Blattes, das in einem oberen Theile Sporophyll ist, steril. Man findet aber, wenn man Standorte
untersucht wo, wie z. B. an einem Punkte an der Ostsee, die Pflanze massenhaft wüchst, auch
solche fertile Blitter, an denen nur wenige, zuweilen nur zwei untere Blattfiedern noch steril,
(vergl. auch ROEPER, Flora Mecklenburgs, I. pag. 103), die anderen fertil sind, — eine An-
niherung an das Verhalten von Osmunda cinnamomea, wo das fertile Blatt dies in allen seinen
Theilen ist. Es wire also thoricht, hier von Missbildung zu reden, wo es sich nur um ein con-
stant gewordenes Verhiltniss handelt. Uebrigens findet man bei O. cinnamomea auch hiufig die
schônsten Mittelformen zwischen sterilen und fertilen Blattformen.
3) Das oben Gesagte bleibt ebenso gültig, auch wenn man die, übrigens ziemlich in der
Luft stehende Hypothese acceptirt, dass ursprünglich alle Farnblätter fertil gewesen sein müssen,
Denn jedenfalls müssten sie dann fertile Laubblätter ähnlich wie die von Aspidium u. a. ge-
wesen sein.
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