Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 3. Band, 1. Hälfte)

   
b) 
n 
Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane. 
blättern umbilden. Es geschieht dies entweder in der Weise, dass eine 
Staubblattanlage sich in ein Blumenblatt umwandelt, ganz oder theilweise, 
oder dass sich die Staubblattanlage spaltet, resp. verzweigt (dedoublirt) in 
eine Anzahl von 'Theilstücken, die entweder alle zu Blumenblättern oder 
theilweise zu Blumenblättérn, theilweise zu Staubblättern resp. zu Mittelformen 
zwischen beiden werden. 
a) Der erstere Fall tritt namentlich ein bei Blüthen mit zahlreichen Staub- 
blättern, von denen eine kleinere oder grôssere Zahl die genannte Um- 
bildung erfährt. Man findet sehr häufig in Blüthen von Philadelphus coro- 
marius ein Staubblatt petaloid ausgebildet, bei anderen fast alle. Ferner 
zeigt die Entwicklungsgeschichte derjenigen Aquilegia- und Rosa-Arten, die 
ich untersucht, dass es sich bei der Füllung um solche einfache Um- 
bildungen handelt. Dasselbe gilt wohl auch für die gefüllten Ranunkeln; 
ferner für gefüllte Potentilla fruticosa, deren Entwicklungsgeschichte ich 
untersuchte. Bei Aaz. auricomus beobachtete ich sogar Blüthen, bei welchen 
auf die Petala zunüchst Staubblätter, dann zu Blumenblättern umgebildete 
Staubblätter folgten. 
In den genannten Fällen ist eine Vermehrung der Zahl der Blüthen- 
blattgebilde mit der Füllung nicht verbunden. Eine solche Vermehrung 
tritt aber sehr häufig ein entweder durch Spaltung vorhandener Anlagen 
oder durch Neubildung von solchen. Der erste Entwicklungsmodus findet 
sich bei zahlreichen gefüllten Blüthen. Ich constatirte ihn bei Petunia Ay- 
órida und Primula sinensis!) ferner bei allen darauf untersuchten Caryo- 
phylleen wie Dianthus Caryophyllus, D. barbatus, D. chinensis, Silene Vis- 
caria, S. nutans. Es ist bekannt, welch grosse Menge von Blumenblittern 
bei »gut« gefüllten Gartennelken sich finden (bei einer nicht sehr stark 
gefiillten Bliithe zählte ich 48), diese alle sind mit Ausnahme der fünf 
normal vorhandenen Petala aus Spaltung der zehn Staubblattanlagen her- 
vorgegangen.?) Diese Spaltung erfolgt nach verschiedenen Richtungen 
hin und je nach der Stärke der Füllung in stärkerem oder schwächerem 
Grade. Bei schwach gefüllten Blüthen von Dianthus barbatus z. B. findet 
kein Dédoublement statt: die äusseren Staubblätter wandelten sich in 
Petala um, die anderen zeigten Mittelstufen zwischen Staub- und Blumen- 
blatt. Bei stärker gefüllten Blüthen dagegen tritt die erwähnte Spaltung 
Bei diesen Pflanzen hat schon EICHLER die Füllung auf Dédoublement der Staubblattan- 
lagen zurückgeführt. 
?) Der Fruchtknoten war bei den meisten von mir untersuchten Gartennelken intakt ge- 
blieben, 
bei einigen war auch er in die Missbildung hineingezogen, die Narben petaloid ausge- 
bildet, die Samenknospen theilweise ebenfalls in Blumenblittchen umgewandelt. In anderen Fällen 
dagegen waren die Samenknospen theilweise verkümmert oder gar nicht vorhanden, und es 
bildete der Blüthenvegetationspunkt innerhalb des Fruchtknotens neue Blattgebilde: den Ansatz 
einer Blüthe mit neuem Fruchtknoten. Man wird also je nach der Stärke der Füllung ver- 
schiedene Entwicklung bei ein und derselben Pflanze erhalten. Von anderen Caryophylleen er- 
wähne ich hier noch Melandryum album und Lychnis chalcedonica. Im ersteren Falle bildete sich 
an der Blüthenachse eine grosse Masse von Blumenblättern aus (dhnlich wie bei Cheiranthus), 
die zum grössten Theil als unabhängige Anlagen am Blüthenvegetationspunkt entstanden (von 
einem Fruchtknotenrudiment war nichts zu sehen). Es werden übrigens auch bei ungefülltem 
M. album keine Fruchtblattanlagen in den männlichen Blüthen gebildet, man findet über den 
Staubblättern nur das borstenförmig verlängerte Blüthenachsenende. Ebenso verhält sich bei der 
Füllung Zychnis chalcedonica. 
  
  
   
  
  
  
  
  
  
    
  
  
  
  
  
  
  
   
   
    
   
   
  
  
    
    
   
      
   
   
     
  
  
    
     
      
   
   
  
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