Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 4. Band)

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Abschnitt I. Morphologie der Organe. 273 
Abschnitt T. 
Morphologie der Organe. 
I. Vegetationsorgane. 
Unter vegetativen Organen der Pilze verstehen wir diejenigen Theile, 
denen die Aufgabe zufällt, Nährstoffe aufzunehmen und aus ihnen die für die 
Fructification nóthigen plastischen Stoffe zu fabriciren. Im Gegensatz zu den 
fructificativen Organen, die ihr Làngenwachsthum frühzeitig abschliessen, haben 
sie im Allgemeinen die Tendenz, möglichst fort und fort zu wachsen, zu vege- 
tien — daher »vegetative« Organe — und sich demgemäss môglichst in oder 
auf dem Substrat auszubreiten. 
Wie bei den übrigen niederen Kryptogamen, den Algen und Spaltpflanzen 
(Schizophyten) sind auch in der Klasse der Pilze die vegetativen Theile ent- 
wickelt in Form eines Thallus, d. h. eines Kórpers, der keinerlei Differenzirung 
in Wurzel, Stengel und Blätter zeigt, wie bei den höheren Gewächsen. 
Allein dieses Thallus-Gebilde gelangt bei den Pilzen in einer besonderen 
Modification zur Entwickelung, die man als »Mycelialen Thallus« oder kurz 
als »Mycelium« bezeichnet hat. 
In seiner typischen Ausbildung stellt dasselbe ein System radiärer ver- 
zweigterFáden dar, deren Ausgangs- und Mittelpunkt die Spore bildet 
Aber von dieser typischen Ausgestaltung werden vielfach Abweichungen, 
oft sehr erheblicher Art, beobachtet, welche ihren Erklürungsgrund darin finden, 
dass die Pilzmycelien im Allgemeinen ziemlich weitgehende Befähigung be- 
sitzen, sich in ihrer Totalität oder in einzelnen Theilen sowohl verschiedenen 
äusseren Existenzbedingungen, als auch verschiedenen Lebensauf- 
gaben anzupassen, entweder vorübergehend oder in dauernder Weise. 
. Wir werden daher sowohl das typische Mycel, als die wichtigsten Abwei- 
chungen (Wuchsformen) desselben zu betrachten haben. 
1. Das typische Mycelium. 
Von der Art und Weise der Entstehung dieses wichtigen Organs, und zwar 
zunächst bei den hóheren scheidewandbildenden Pilzen (Mycomyceten 
BnEF.) kann man sich leicht eine Anschauung verschaffen, wenn man die Sporen 
unseres gemeinen Brodschimmels (Penicillium glaucum) in eine passende Nähr- 
lösung, etwa Fruchtsaft, aussät. 
Die Spore (Fig. 1, 4) schwillt nach wenigen Stunden etwas auf und treibt 
ein bis mehrere fadenfôrmige Ausstülpungen, Keimfäden oder Keimschläuche. 
(Fig. 1, BC). Letztere verlängern sich sehr bald (Fig. 1, D) und grenzen sich 
durch eine Scheidewand (Querwand oder Septum Fig. 1, D bei 5) gegen die 
Spore ab. Darauf wachsen sie noch mehr in die Linge und inseriren abermals 
eine Querwand (Fig. 1, Zs). Hierdurch wird jeder der Keimschläuche zerlegt in 
zwei Zellen, eine Endzelle oder Scheitelzelle ¢ und in eine Binnenzelle 4. 
Während nun die Binnenzeilen ihr Wachsthum aufgeben, sich auch nicht durch 
neue Scheidewände gliedern, wächst jede der Scheitelzellen weiter, sich streckend 
und theilend und dabei wiederum eine Binnenzelle und eine Endzelle bildend. 
Indem dieser Process sich fortsetzt, wachsen die Keimschläuche in die Länge. 
Das Wachsthum beruht also im Wesentlichen auf einer stetigen Verlängerung 
der jedesmaligen End- oder Scheitelzelle. Man sagt daher, die Keimschläuche 
wachsen durch Scheitelwachsthum oder Spitzenwachsthum. 
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