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Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Wäre die besprochene Art des Wachsthums die einzige, so hätte man
immer vorauszusetzen, dass sich zuerst kleine Krystalle mit bestimmter Form
gebildet haben und dass die Grössenunterschiede durch das Wachsthum erklärlich
sind. Man hätte dann nur zu fragen, wie die kleinen den grossen zu Grunde
liegenden Krystalle entstanden sind, wie sie sich in bestimmter Gestalt bildeten.
Es zeigen sich aber auch noch andere mit dem Wachsthum zusammen-
hängende Erscheinungen beziglich der Form, die sehr mannigfaltig sind. So
z. B. findet man Calcitkrystalle, welche die Combination co R- LR' darstellen
und in denen als Kern ein Krystall vorhanden ist, welcher das spitze Skalenoeder
R3 darstellt. Bei der obigen Art des Wachsthums, wahrscheinlich der regel-
mässigsten, hätten Calcitkrystalle von der Gestalt R3 durch Absatz gleich-
artiger Substanz in conformen Schichten nur grössere gleichgestaltete Krystalle
ergeben kónnen, die eingetretene Aenderung aber der Gestalt weist darauf hin,
dass die Art des Absatzes neuer Substanz in anderer Weise erfolgt sein muss.
Im Zusammenhange damit beobachtet man z. B. dass in Barytkrystallen der Ge-
stalt co P2 . co P3ó- P ó ein Kernkrystall der Gestalt oo Pa$-P os enthalten ist, dass
also die zum Wachsthum beitragende Barytsubstanz in anderer Weise als in con-
formen Schichten um die rhombische Tafel coPX-P= sich absetzen musste,
um den grósser gewordenen Krystall der Gestalt co P2: oo P3á-P 36 darzustellen.
Immerhin findet man auch anderwáürts grosse rhombische 'Tafeln der Gestalt
coPo$.Poo, welche deutlich erkennen lassen, das sie durch das Wachsthum
kleiner solcher Tafeln entstanden sind, indem sich die vergróssernde Substanz con-
forme Schichten bildend um die kleineren Krystalle absetzte.
Aus dem Gesagten geht hervor, was noch durch weitere Beispiele erhürtet
werden kónnte, dass kleine Krystalle in bestimmter Gestalt durch das Wachsthum
grósser geworden sind, wenn die zum Wachsthum nóthige gleichartige Substanz vor-
handen war, und dass die Gestalt entweder dieselbe blieb oder dass sie sich
änderte, dass aber immer die wachsenden Krystalle die Befähigung enthalten,
die vergrössernde Substanz an sich zu ziehen und deren kleinsten Massentheile
so zu ordnen, dass entweder der durch das Wachsthum grösser gewordene
Krystall dieselbe Gestalt zeigt oder eine andere, welche mit der ursprünglichen
in krystallographischem Zusammenhange steht. Die Hauptsache aber, wie sie
grösser werden und eine bestimmte Gestaltung annehmen, wird nicht erklärt.
Man muss, um [dies zu erklären, nothwendig auf die Entstehung der Krystalle
zurückkommen.
Die organisirten natürlichen Individuen, die Thiere und Pflanzen lassen auch
das Wachsthum beobachten, welches jedoch, wie oben bemerkt wurde, insofern
ein verschiedenes ist, als die Thiere und Pflanzen Substanzen als Nahrung auf-
nehmen und in Folge der substantiellen Veränderung derselben in ihnen von
innen nach aussen wachsen, auch bei ihnen ist die Frage der Entstehung die
wichtigste, und wenn daher auch bei den Krystallen nach der Entstehung ge-
fragt werden muss, so wäre die Lösung der Frage in dem Sinne eher als eine
mögliche zu bezeichnen, weil die Substanz der entstehenden und entstandenen
Krystalle einer Art dieselbe ist. Bei Thieren und Pflanzen wechselt die Substanz
beständig, bei den Krystallen derselben Art bleibt sie wenigstens dieselbe,
Wenn daher eine bestimmte Substanz vorhanden ist und krystallisirt, die ent-
standenen Krystalle durch Wachsthum grösser werden, so haben wir es immer
mit derselben Substanz zu thun und es frügt sich nur, ob man die Entstehung der
Krystalle einer bestimmten Substanz beobachten kónne, ob man beobachten kónne,
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