Full text: Handbuch der Botanik (1. Abtheilung, 1. Theil, 1. Band)

Blumen und Insekten, 
Kapitel ro. 
Schutzmittel der Blumen. Beschránkung des allgemeinen Insektenzutrittes. 
Im 7. und 8. Kapitel haben wir gesehen, wie die Entwicklung grosser, leb- 
haft gefárbter Blumenblátter, angenehmer Düfte und. besonderer Lockspeisen den 
Insektenbesuch steigern und die anfangs bloss ermóglichte Kreuzung wahrschein- 
licher machen musste. Aber gleichzeitig mit diesem Vortheil bringen die 
genannten Blumeneigenthümlichkeiten unvermeidlich auch gewisse Gefahren mit 
sich, die nur durch Ausbildung besonderer Schutzmittel und Beschrünkungen 
überwunden werden können. Denn einerseits kann es kaum ausbleiben, dass 
dieselben Farben, Gerüche und Genussmittel, welche die als Kreuzungsvermittler 
nützlichen Insekten anziehen, ausser diesen auch mancherlei andere Thiere 
herbeilocken, und unter denselben auch solche, welche die Befruchtungsorgane 
oder die ganzen Bliithen wegfressen und so den Fortbestand der Art mit Ver- 
nichtung bedrohen. Andererseits sind die offen dargebotenen Lockspeisen, welche 
den in der Luft umherfliegenden Insekten am leichtesten in die Augen fallen, 
offenbar auch den Unbilden der Witterung, besonders des Regens, am meisten 
ausgesetzt. Beim Auftreten geeigneter Abänderungen mussten daher durch 
Naturauslese besondere Schutzmittel gegen die verderblichen Einwirkungen 
sowohl der feindlichen Thiere als des Wetters zur Ausprägung gelangen. 
Unvermeidlich wirken solche Schutzmittel schon für sich allein vielfach 
beschränkend auf den allgemeinen Insektenzutritt ein, indem z. B. gegen Regen 
geborgener Honig in der Regel auch den Augen ungeübter Blumenbesucher ent- 
zogen ist. Ausserdem aber musste der Vortheil gesicherter Kreuzung naturnoth- 
wendig noch weitere Beschränkungen der Blumen auf engere Besucherkreise 
herbeiführen. Denn so lange Insekten der allerverschiedensten Grösse, Körper- 
form und Bewegungsweise gleichzeitig als Kreuzungsvermittler eingeladen werden, 
bleibt es natürlich unmöglich, dass sich solche Blüthengestaltungen ausbilden, 
die jeden Besucher nöthigen, Pollen auf Narben anderer Stöcke zu übertragen; 
die Kreuzung bleibt daher selbst bei reichlichem Insektenbesuche mehr oder 
weniger eine Sache des Zufalls. Nur durch Anpassung an eine bestimmte 
Insektenform mit Ausschluss der übrigen wird es den Blumen möglich, von 
jedem dieser Form angehörigen Besucher Kreuzungsvermittlung zu erlangen. 
Als weitere Schritte der Blumenentwicklung haben wir daher ı) die Ausbildung 
von Schutzmitteln gegen feindliche Thiere und gegen Wetterungunst und 2) die 
Beschrinkung des allgemeinen Insektenzutrittes und den stufenweisen Uebergang 
zur Anpassung an ‚immer engere Besucherkreise ins Auge zu fassen; doch wird 
sich die letztere Betrachtung der Natur der Sache nach nur zum Theil von der 
ersteren trennen lassen. 
Die Schutzmittel der Blüthen gegen feindliche 'Thiere hat kürzlich Professor 
KERNER in einer besonderen, mit zahlreichen schónen Abbildungen ausgestatteten 
Abhandlung [19] zusammengestellt, der wir die náchstfolgenden Angaben gróssten- 
theils verdanken. Gegen Wiederkäuer und andere abweidende Säugethiere sind 
die Blumen zahlreicher Pflanzen (z. B. der Kônigskerze, der Schafgarbe) durch 
besondere Stoffe in dem Grade geschützt, dass sie von ihnen unberührt bleiben, 
wenn auch die Laubblätter derselben Pflanzen abgeweidet werden. Nicht selten 
scheinen dieselben ätherischen Oele für die weidenden Thiere als Abschreckungs- 
und gleichzeitig für die Kreuzungsvermittler als Anlockungsstoffe zu wirken (z. B. 
    
  
  
   
   
  
   
    
   
   
    
   
  
  
    
    
    
  
  
      
   
  
  
  
    
  
    
   
  
   
    
     
   
   
    
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